Im Anfang war Johannes
Autor: Klaus Berger
Klaus Berger, Professor für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg, ist anders als seine Kollegen. Nicht nur, weil er sich mit seinen theologischen Überzeugungen auch in populärwissenschaftlichen Publikationen an ein interessiertes Laienpublikum wendet, sondern auch, weil er gern der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung widerspricht. Er versteht sich als Mann zwischen den Fronten. Er schreibt nicht nur mit ausgesprochen spitzer Feder Rezensionen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sondern erteilte auch im evangelikalen Nachrichtenmagazin idea-spekrum (13/1994, 21-22) dem Auferstehungsbuch seines Göttinger Fachkollegen Gerd Lüdemann eine scharfe Absage. In seinem Jesus-Buch (Wer war Jesus wirklich, S. 118-119) ging Berger kurz auf einige Reaktionen ein, die seine Stellungnahme in idea in nicht-evangelikalen Kreisen hervorrief. "Man muß nur einmal erleben, was einem deutschen Theologieprofessor angedichtet und angelastet wird, wenn er auch nur einmal in einem als evangelikal geltenden Wochenblatt einen Artikel schreibt, weil er meint, es sei notwendig. Nein, das tut man nicht. Diesen Verdächtigungen, dem Verdacht darauf, vielleicht dieser ´Farbe´ anzugehören, setzt man sich nicht ungestraft aus. ´Der schreibt ja da´, heißt es, und dann weiß man schon alles. Die Muffigkeit unseres Denkens in festen Blöcken ist unübertrefflich". Das Mißverständnis, Berger könnte vielleicht tatsächlich evangelikal sein oder auch nur mit dieser Richtung sympatisieren, wird durch die Lektüre seiner Bücher umgehend ausgeräumt. In einer Hinsicht berührt sich sein Anliegen aber mit dem der Evangelikalen. Er betrachtet es als eines seiner Hauptanliegen, für "wirkliche Neuerungen in der Exegese" zu arbeiten, die das Johannesevangelium letztlich "ungenießbar gemacht" habe (9). Aus dieser Motivation heraus unternimmt Berger es, in vielen seiner Publikationen weithin anerkannten Ergebnissen der modernen Bibelwissenschaft radikal zu widersprechen. Die entscheidende Voraussetzung, die ein deutscher Neutestamentler dafür braucht, besteht darin, "daß er vor nichts Irdischem mehr Angst hat" (9). Worum geht es im Buch über das Johannesevangelium? Berger möchte einer breiten Forschungsmehrheit zum Trotz zeigen, daß das Jesusbild des Johannesevangeliums dem synoptischen historisch gleichwertig ist (12.292). Zu diesem Zweck entwickelt er einerseits eine neue Antwort auf die klassischen Einleitungsfragen (54-127) und ordnet andererseits die johannische Theologie in den Gesamtverlauf der urchristlichen Theologiegeschichte ein (128-258). Nebenbei bezeichnet Berger manche vertraute Fragestellung der neutestamentlichen Forschung als sinnlos bzw. unbeantwortbar. So erklärt er eine literarkritische Analyse des Johannesevangeliums für undurchführbar (29) und wiederholt seine schon mehrfach geäußerte Meinung, eine Unterscheidung zwischen dem echten und unechten Jesusgut der Evangelien sei grundsätzlich unmöglich, da die bekannten Authentizitätskriterien sich allesamt als unzureichend erwiesen hätten. Die einzige Möglichkeit bestehe darin, zur Rekonstruktion des Lebens Jesu alles aus dem ersten Jahrhundert stammende Quellenmaterial, auch das außerkanonische, heranzuziehen (37.40-41.292). In diesem Zusammenhang versäumt Berger es nicht, sich in aller Deutlichkeit von den betreffenden Forschungsergebnissen seines Heidelberger Kollegen Gerd Theissen zu distanzieren (41-45.49). Zu welchen positiven Ergebnissen gelangt Berger im einzelnen? Seiner Ansicht nach ist das Johannesevangelium Ende der 60er Jahre des ersten Jahrhunderts entstanden (11). Dafür spreche, daß einerseits die im Jahre 70 erfolgte Tempelzerstörung nicht erwähnt werde, während die gegen eine Frühdatierung angeführten Argumente (z. B. Joh 21,15-23) sich nicht als stichhaltig erwiesen (79-95). Das scheint mir nicht unmöglich, solange man berücksichtigt, daß unseren ältesten Quellen zufolge das Johannesevangelium nach den in den 60er Jahren verfaßten synoptischen Evangelien verfaßt wurde (vgl. JETh 11 [1997] 77-92), was Berger bestreitet. Auffälliger ist, daß Berger im Apostel Andreas den Lieblingsjünger des Johannesevangeliums erkennt und seinen Verfasser nicht nur aus Alexandrien stammen läßt, sondern (vorsichtig) für eine Identifizierung mit Philippus plädiert (54-127). Der Titel seines Buches könnte also zutreffender lauten: Im Anfang war Philippus. Als Gründe für diese meines Wissens singuläre Position nennt Berger neben der frühen ägyptischen Bezeugung des Evangeliums durch den Papyrus 52 unter anderem seinen urbanen Charakter, religionsgeschichtliche Anklänge an alexandrinische Autoren und Gruppen wie Philo und die Hermetik sowie die Erwähnung der Diasporajuden in 11,52. Mich haben diese Argumente nicht überzeugt. Viel schwerer wiegen aber die Gegenargumente, auf die Berger mit keiner Silbe eingeht. Sämtliche altkirchliche Nachrichten stimmen ausnahmslos darin überein, daß der Verfasser des vierten Evangeliums aus Palästina stammte, ein Apostel Jesu war, den Namen Johannes trug und sein Evangelium in Ephesus verfaßt hat. Berger hat sorgfältig darauf verzichtet, seine (mit der altkirchlichen Literatur teilweise nicht vertrauten) Leser auch nur auf eine einzige dieser Quellenangaben hinzuweisen oder diesen Verzicht wenigstens zu begründen. Auf der Ebene der Sekundärliteratur entspricht diesem Mangel, daß weder die mehrseitige Bibliographie, noch die Fußnoten den geringsten Hinweis auf Martin Hengels grundlegendes Werk über Die johanneische Frage enthalten, in dem die verfügbaren Quellen in aller Gründlichkeit diskutiert werden. Es ist ganz und gar unvorstellbar, daß ein so versierter Forscher wie Berger die altkirchlichen Primärquellen und die wichtigste Sekundärliteratur nicht kennt. Aber natürlich wäre es ziemlich mühsam, in direkter Konfrontation mit der historischen Evidenz an der Zuschreibung des Johannesevangeliums an einen Alexandriner (names Philippus) festzuhalten. Was kann man von Berger für die Erneuerung der Exegese lernen? Daß man den Mut zum Widerspruch haben muß. Und daß der Hebel an den richtigen Stellen angesetzt werden muß.
Die Rezension/Kritik stammt von: Armin Daniel Baum
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2003
ISBN: 978-3518000212
Seiten: 312
€ Preis: 29,95 Euro