Buch-Rezension: Grundriss der politischen Ethik - Eine Darstellung aus biblisch-reformatorischer Sicht

Grundriss der politischen Ethik

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Die Frage, wie Glaube, Rechtsordnung und Politik eigentlich zusammenhängen, hat in jüngster Zeit durch die nun entschiedene Vermeidung des Gottesbezugs in der europäischen Verfassung eine aktuelle Bedeutung gewonnen. Wieder wurde deutlich, wie schwer sich das Brüsseler „Europa“ mit seinen christlichen Wurzeln tut. Allerdings ist auch Christen nicht immer klar, worum es bei dem Gottesbezug einer Verfassungspräambel eigentlich geht: es geht um die Frage der Rechtsbegründung, denn Recht kann und soll seiner Idee nach gerade keine willkürliche menschliche Setzung, sondern muß etwas Richtiges, Gültiges und auch die Zeiten Überdauerndes sein. Auch Christen erwarten dabei nicht, dass der Staat sich „theokratisch“ legitimiert und eine europäische Verfassung sich als unmittelbare Vollstreckung eines göttlichen Willens auszugeben habe. Aber sie dürfen Rechenschaft darüber fordern, vor welchen Instanzen ein solcher Verfassungstext denn eigentlich geprüft worden ist. Im deutschen Grundgesetz heißt es, dass sich das deutsche Volk „im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ seine Verfassung gegeben habe. Bereits in der EU-Grundrechtecharta vom Dezember 2000 ist von einer Verantwortung vor Gott, bemerkenswerterweise dann aber auch vor den Menschen, nicht mehr die Rede. Der Entwurf der EU-Verfassung beschwört statt dessen das „Abenteuer Europa“ – was alleine schon erkennen läßt, wie nebulös und ungewiß die Dimensionen eines „verantwortungslosen Rechtes“ mit ungeklärter Begründung geworden sind.

Aushöhlung des Rechtsbewußtseins
Thomas Zimmermanns, Kölner Jurist und theologischer Publizist, weist in den beiden hier anzuzeigenden Büchern nach, dass es sowohl in unserer Tradition als auch im Wortlaut der Verfassung zahlreiche Konvergenzen zwischen christlichen Maßstäben und der rechtsstaatlichen Tradition gibt. In dem ersten genannten Band „Rechtsstaat Bundesrepublik – wohin?“, kann er belegen, dass diese christlichen Bezüge insbesondere in der heutigen Rechtsanwendung und Politik dann allerdings vielfach „mißachtet, ausgehöhlt und uminterpretiert“ werden. Bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht werden zahlreiche Beispiele dafür angeführt und diskutiert, die diese Tendenz zum Teil erschreckend veranschaulichen. An folgenden Themen weist Zimmermanns diese Entwicklung nach: Es geht um den Skandal von mehreren hunderttausend Abtreibungen pro Jahr bei gleichzeitiger massiver Einengung der Meinungsäußerungsfreiheit von Abtreibungsgegnern; um die praktische Aufhebung des Ehrenschutzes gerade durch höchstrichterliche Rechtssprechung (und damit eine praktische Ehrlosstellung der Bürger, sobald sie sich in die öffentliche Auseinandersetzung begeben); um die Aushöhlung des Strafrechts durch deplazierte Geltendmachung der „Menschenwürde“ des Täters beim Vergessen des Opfers; um die Einführung eines Ehe-Imitats für Homosexuelle, in der der Verfasser nur einen „Zwischenschritt“ hin zu einem offenen „Krieg gegen die Grundlagen der Schöpfung Gottes“ erblickt – und manches mehr. Der Autor erkennt in den hier stattfindenden Verschiebungen eine sukzessive Verdrängung des unserer Verfassung immer noch zugrundeliegenden christlichen Menschenbildes durch ein rein humanistisches oder auch evolutionistisch-naturalistisches. In der Tat könnte gerade von der fortschreitenden „Naturalisierung“ des Menschenbildes her in der Zukunft die größte Gefahr für unsere Rechtsordnung ausgehen. So wird inzwischen von Hirnforschern die Preisgabe unseres Konzepts von Zurechnungsfähigkeit und Verantwortlichkeit samt einer daran anschließenden Reform des Strafrechts gefordert; der Mensch erscheint hier nicht mehr als entscheidungsfreie Person, sondern als ein Bündel von Verschaltungen im Gehirn, die nicht anders können, als auf jene Weise zu reagieren, wie sie es nun einmal tun.

Salzkraft für den Rechtsstaat
An der schleichenden Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit sind dabei allerdings nicht nur atheistische Weltanschauungen, sondern auch die evangelischen Kirchen beteiligt: Zimmermanns erinnert mit Grund an die Rosenheimer Abtreibungssynode, die 1991 eine generelle Straffreiheit für Abtreibung gefordert hat (und also weiter gegangen ist als das Bundesverfassungsgericht) oder auch an die (schriftwidrige) Anerkennung des homosexuellen Lebensstils durch die EKD-Kirchen. Dadurch wurde der staatlichen Homo-Ehe teilweise gezielt vorgearbeitet wurde. Christen gehen jedenfalls auch in einem Europa, das dabei ist, sich von seinen christlichen Wurzeln bewußt und willentlich zu trennen, nicht gerade einfachen Zeiten entgegen, der Fall Rocco Buttiglione hat dies kürzlich noch einmal schlagend belegt. Aber es könnte umso mehr ihre „Salzkraft“ sein, zusammen mit dem unerschrockenen Zeugnis für ihren Glauben auch den Gedanken des „richtigen Rechts“ und des Rechtsstaats am Leben zu erhalten.

Thomas Zimmermanns hat dann außerdem einen ausführlichen „Grundriß der politischen Ethik“ aus christlicher Sicht vorgelegt, auf den hier ebenfalls hingewiesen sei. Darin behandelt er Grundsatzfragen wie „Grund und Ursprung der Einsetzung der staatlichen Ordnung“, „Christlicher Staat oder religiös-weltanschaulich neutraler Staat?“, „Die politische Verantwortung der Christen im Staat“ oder auch „Kirche und Staat“. Sehr hilfreich ist an diesem Buch unter anderem, dass Zimmermanns zunächst ganz „unparteiisch“ die unterschiedlichen Antworten referiert, die in evangelischem Denken aus lutherischer, reformierter oder pietistischer Perspektive auf die politisch-ethischen Fragen jeweils gegeben worden sind. Danach erläutert er seine eigene Position. Der Leser kann, auch wenn er in Einzelpunkten eine andere Auffassung vertritt als der Verfasser, so dennoch von dem Buch profitieren und wird dazu angeleitet, seine eigene Sicht nur umso klarer zu artikulieren. Das Buch kann im übrigen dazu beitragen, die politische Abstinenz oder Gleichgültigkeit vieler Christen zu überwinden und zu begründeten Urteilen über viele uns heute bewegende Fragen zu kommen. Auch deshalb seien ihm viele Leser gewünscht.

Aus: Bekennende Kirche, Nr. 19, S. 27. Siehe http://bekennende-kirche.de

 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Verlag für Kultur und Wissenschaft
  Jahr: 2004
  ISBN: 978-3932829932
  Seiten: 230
 €    Preis: 20,00 Euro