Gott 9.0
Autor: Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer, Werner Tiki Küstenmacher
Das Buch Gott 9.0 ist ansprechend gestaltet – u.a. mit Illustrationen des Mitautoren Tiki –, gut und verständlich formuliert und enthält viele kluge Zitate und Einsichten. Mit ihrem Werk versuchen drei bekannte deutsche evangelische Theologen die religiöse Entwicklung der Menschheit im Allgemeinen und die Entwicklung des christlichen Glaubens und Gottesbildes im Besonderen in einem einfachen System darzustellen. Der Franziskanerpater und Mystiker Richard Rohr, Erfinder des von den Autoren hochgelobten Enneagramms, schreibt im Vorwort: „Marion, Tiki und Tilmann werden Ihnen in einer neuartigen und frischen Weise zeigen, wie wir wachsen: in Richtung Mitgefühl, Inklusivität, Weisheit, Geduld, Nondualität. Wir werden immer weniger Antworten brauchen und immer weniger Kontrolle. So entfaltet sich die Seele stufenweise auf ihrem Weg. So werden wir erwachsener.“ (S. 11). Grundlage des Buches bildet das Ebenenmodell der Entwicklung menschlicher Wertesysteme des amerikanischen Psychologen Clare W. Graves (1914-1986)1. Er fasste seine Beobachtungen, die er bei der Persönlichkeitsentwicklung seiner Studenten machte, kühn in ein einfaches, hierarchisches Schema mit 9 aufeinanderfolgenden Wertesystemen/Lebenszuständen, die im strengen Wechsel durch ICH- (innen-, eigen-) und WIR- (außen-, fremd-) beeinflusste Entscheidungsmotive „erklommen“ werden, zusammen und übertrug sie – noch kühner – auf die Gesellschaft und Kulturgeschichte. Nach 6 Stufen wiederholen sich die durchlaufenen menschlichen Wertesysteme, nun aber in einer neuen Qualität. Die Autoren von „Gott 9.0“ übersetzen diese, von anderen zu „Spiral Dynamics“ weiterentwickelten Theorie – die einfach als bewiesen vorausgesetzt wird – in eine christliche Sprache. Graves’ Bewusstseinsstufen in der Farbcodierung von „Spiral Dynamics“ entsprechen die Gottesbild-“Versionen“ 1.0 bis 9.0. Die geistige Per sönl ichkei tsentwicklung eines Menschen wird mit der Evolutionsgeschichte des menschlichen Bewusstseins vom Primitiven zum Komplexen begründet und umgekehrt. Die Metapher (!) „Gott“ wollen die Buchautoren bei alledem jedoch nicht aufgeben. Im Hauptteil ihres Buches werden die 9 Bewusstseinsstufen und ihre Auswirkungen dargestellt. Auf Stufe Gott 1.0/BEIGE (Beginn: vor 100.000 Jahren) leben Babys, ein paar primitive Völker, und auf diese Stufe werden Demenzkranke zurückgeworfen. In der Evolution beschreibt es die (fehlende) Bewusstseinsverfassung der Urmenschen, die „noch nicht unterscheiden [konnten] zwischen sich und der Natur“ (S. 47). Gott 2.0=PURPUR (Beginn: vor 50.000 Jahren), der „Stammesgott von Abraham & Co.“ ist ein „Familiengott“ der „früher einmal Menschenopfer forderte, die nun aber nur noch rituell wiederholt und mit der Opferung eines Tieres abgeschlossen wird“ (S. 66). Und so geht es blasphemisch weiter bis zu Christus (Gott 4.0). In Stufe Gott 5.0 werden die Wundergeschichten der Bibel als Mythen „entlarvt“. In Stufe Gott 6.0 billigt man jeder Religion Wahrheit zu und „begegnet Gott auf vielerlei Weise“. Die Bibel lässt sich in alle Richtungen auslegen (S. 159). Mit Gott 7.0=GELB (Beginn: vor 60 Jahren) beginnt nach Grave die Menschheit erneut die früheren Stufen zu durchlaufen, jedoch auf höherer Ebene. Auf Stufe Gott 8.0 kann Gott angeblich in unserer stufenweisen Erkenntnis selber wachsen. Auf der letzten „Stufe wird der Einzelne durch sein pures Dasein ein lebendiges Signal sein gegen Grenzziehungen aller Art“ (S. 222). Nachdem noch die esoterischen Theorien Ken Wilbers auf den christlichen Glauben übertragen worden sind, beschließen die Autoren beschwörend ihr Buch: „Nur durch Wachstum und Veränderung bleiben wir Menschen uns selbst und unserem Gott treu. Wer dagegen festhalten will an seinem vertrauten Gottesbild, wird Gott verlieren“ (S. 293). Obwohl die Autoren bis in die letzten Seiten ihres Buches noch das Wort „Gott“ benutzen, halten sie das theistische Gottesbild für unterentwickelt. Bibelstellen und Zitate großer Denker werden missbräuchlich zu den Bewusstseinsstufen „farblich passend“ zusammengesucht und nur geeignete Assoziationen hergestellt. In der Bibel fänden sich z.B. Hinweise eines pantheistischen Gottesbildes, zum „‚Großen Es’, der großen unpersönlichen, evolutionären Ordnung“, „beispielsweise in der mystischen Sprache des Apostels Paulus: ‚Damit Gott sei Alles in Allem’“ (S. 267-268). In Gott 9.0 wird die Bibel nur benutzt, um den Bibelleser zu verführen.
Die Rezension/Kritik stammt von: Falko Hornschuch
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2010
ISBN: 978-3-579-06546-5
Seiten: 319
€ Preis: 24,99 Euro