Gemeinde, Brief und Heilsbotschaft
Autor: Peter Eckstein
Die vorliegende Studie bietet - neben dem interessanten Vergleich mit den Briefen des antiken Philosophen Epikur (341-270 v. Chr.) eine hervorragende Einleitung in die Briefe des Apostels Paulus, sowie in sein Wirken und sein Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und Gemeinden. Einführend gibt der katholische Theologe Peter Eckstein (zu unterscheiden von dem Tübinger Neutestamentler Hans-Joachim Eckstein!) einen guten Überblick über „Briefeschreiben in der Antike“ (19-46). Dabei behandelt E.Wesen und Charakter eines antiken Briefes und die mit dem Briefeschreiben verbundene Mühe (26-40, die Beschreibstoffe, das Schreibmaterial, die Haltung beim Schreiben, zur Geschwindigkeit des Briefeschreibens, zum Briefumfang, zum Transport von Briefen, Eigenhändigkeit und Diktat, sowie das Fazit: „Die Unbequemlichkeit, Briefe zu schreiben“; alles Themen, die Licht auf die Paulusbriefe und andere Briefe im Neuen Testament werfen). Abschließend geht es um die Formalia eines antiken Briefes (40-46). Grundlage antiker Briefe ist die Anlehnung an die Konventionen des Dialogs. Antike Briefe bestehen aus Präskript, Briefkorpus und Briefschluss. Zur Bedeutung des Briefeschreibens im Leben der antiken Menschen und damit auch für Paulus und seine Gemeinden schreibt E.: (46) Trotz der beschriebenen Umstände und Mühen, die mit dem Briefeschreiben verbunden waren, zeugen unzählige Papyri, die im trocken-heißen Wüstensand Ägyptens die Jahrhunderte überdauerten, den hohen Stellenwert, den Briefe im Leben der antiken Menschen besaßen.Wollten oder konnten sie nicht selbst zu ihren Verwandten, Freunden oder sonstigen Bezugspersonen reisen, so blieb ihnen zur Pflege von persönlichen Beziehungen oder zur Übermittlung von Nachrichten praktisch keine andere Wahl, als auf das Medium Brief zurückzugreifen. Über längere Zeit keinen Brief zu schreiben oder zu erhalten, konnte, sofern kein zwischenzeitlicher Besuch stattfand, für die Beziehung, in der die Korrespondenten zueinander standen, nicht folgenlos bleiben. Ihre Verbindung zueinander drohte schwächer zu werden oder im ungünstigsten Falle ganz abzubrechen. Die Klage, keinen Brief bekommen zu haben, kehrt in den erhaltenen Papyrusbriefen immer wieder. War das Briefeschreiben ursprünglich aus der Not geboren, so hatte doch die für einen Brief konstitutive Schriftlichkeit andererseits auch mancherlei Vorteile: Sie zwang den Verfasser bei der Übermittlung seiner Botschaft zu einer intensiveren Reflexion und ermöglichte es dem Empfänger, das Schreiben nach Wunsch immer wieder hervorzuholen und zu lesen. Auch Zwischentöne und Nuancen, die beim bloßen Hören unterzugehen drohten, traten deutlicher und wirksamer zutage, wenn man sie geschrieben vor Augen hatte. Nach einer Beschreibung der Briefe Epikurs (47-176) geht es um Paulus und seine Briefe: Zur Herkunft und Bildung des Apostels (Stolz auf das jüdische Erbe, bikulturelle Erziehung, der Einfluss der paganen hellenistischen Bildung), zur Missionsstrategie des Paulus, zum paulinischen Gemeindeverständnis, zur Stellung des Paulus in seinen Gemeinden, Einfluss und Funktion der Mitarbeiter in den Paulusbriefen (die Rolle der Mitabsender, Briefstil als Indiz, zum Umfang der Paulusbriefe, „Ich“ und „Wir“ bei Paulus, die Funktion der Sekretäre), die Paulusbriefe und ihre antiken Vorbilder (offizielle frühjüdische Briefe, Paulus und das antike Briefformular, der Umgang des Paulus mit den Briefkonventionen seiner Zeit), zur Rolle der Gemeindebriefe in der paulinischen Verkündigung (Variantenreichtum der Paulusbriefe, situationsorientierte Konzeption, dialogischer Charakter und die Gemeindebriefe als fortgesetzte Mission) sowie zur Wirkungsgeschichte der Paulusbriefe. Abschließend vergleicht E. die Briefe des Paulus mit denen Epikurs (300-34, bemerkenswerte Parallelen und Unterschiede) und beschreibt die Bedeutung von Briefen für die Verbreitung der Lehre beider Männer (353-72). Entscheidende Unterschiede liegen in dem Stellenwert, den beide Autoren ihrer jeweiligen Gemeinschaft zumaßen: „Die Freundesgemeinschaft der Epikuräer war nach der Philosophie ihres Begründers nicht viel mehr als ein Hilfsmittel, um das Erreichen des letzten Zieles, des persönlichen Seelenfriedens, zu ermöglichen und diesen dauerhaft zu gewährleisten. Was bei den Epikuräern nur Mittel des Heiles war, war bei Paulus zugleich dessen integraler Bestandteil. Für ihn waren Gegenseitigkeit und Miteinander keine Zwischensondern Dauerzustände, die das höchste Ziel der paulinischen Missionsarbeit, das ‚in- Christus-sein’, sowohl anzeigen, als auch gewährleisten“ (352). Abschließend fragt E., ob Kirche heute „nicht eher eine Art christianisierten Epikureismus fördere, der in der ‚Gemeinde’ nicht viel mehr als ein Mittel zur individuellen religiösen, ethischen oder sozialen Bedürfnisbefriedigung sieht“ (352). Ein Anhang gibt die Briefe Epikurs in deutscher Übersetzung wieder (353-72). Durchweg bietet E. viele grundlegende und interessante Einsichten in die Paulusbriefe, das Missions- und Gemeindeverständnis des Paulus (und welche Bedeutung seine Briefe für seine Gemeinden haben) sowie in Fragen ntl. Einleitung, wie man sie sonst kaum in deutscher wissenschaftlicher Literatur findet und auch in englischsprachinger evangelikaler Literatur lange suchen muss. Eine günstige Studienausgabe wäre wünschenswert. Berührt hat mich der letzte Satz des Vorworts: „Ich widme diese Arbeit meinem treuesten Freund: Jesus, meinem Herrn, dessen Erkenntnis alles übertrifft (Phil 3.8). Möge sie nicht nur zur wissenschaftlichen Forschung, sondern auch zur Verherrlichung Gottes beitragen“. Eine Bescheidenheit und Absichtserklärung, die man manchem von uns Evangelikalen wünschen würde!
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte