Gegensätze in der Heiligen Schrift
Autor: Gerhard Isermann
Im vorliegenden Bändchen will der pensionierte Pfarrer Isermann zu verschiedenen Themen unterschiedliche und scheinbar gegensätzliche Bibeltexte zusammenstellen, auslegen und kommentieren. Er ist überzeugt: „Gerade in ihren Differenzen hat die Bibel uns etwas zu sagen. So möchte ich auch mit diesem Buch die Eigenart der verschiedenen Verfasser darstellen und so Verständnis dafür wecken, dass in der Bibel Gegensätze zu finden sind, die sich aus dieser Eigenständigkeit der Schreibenden herleiten, und darum auch aus ihrer (fehlerhaften) Menschlichkeit“ (14). Daher stellt der Band unter folgenden Themen zusammen, wo Isermann (und viele andere) eine große Vielfalt bis hin zu handfesten Widersprüchen im Neuen Testament sehen: In den einzelnen Abschnitten werden die Texte abgedruckt, kommentiert und verglichen („Zwischenbilanz“). Am Ende werden Schlussfolgerungen gezogen. Durchweg wendet Isermann die historisch-kritische Methode an. Dies befremdet, da sie neben allen berechtigten Anfragen grundsätzlicher Art (weit über das evangelikale Lager hinaus) in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Vorherrschaft auch im akademischen Bereich eingebüßt hat. Isermann ist damit nicht auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung. Wiederholt fragt man sich, ob die Widersprüche und Spannungen, die Isermann wahrnimmt, auf den Prämissen (Suche nach Vielfalt) und der Durchführung einer historisch-kritischen Auslegung beruhen. Muss der Autor daher Probleme lösen, die er (und andere) sich – zumindest teilweise – selbst geschaffen hat? Wie verhalten sich in der Bibel Gotteswort und Menschenwort? Ist Menschenwort immer auch fehlerhaftes Wort? Bei der Antwort auf die letzte Frage hat die Kirche (zumindest bis in die Zeit der Aufklärung) zu Recht auf die Inspiration der Bibel verwiesen. In der Bibel haben wir nicht Menschenwort wie jedes andere Menschenwort, sondern „getrieben vom heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet“ (2Petr 1,21). Erfreulich ist, dass Isermann mehrfach die radikale Kritik Gerd Lüdemanns und des Berliner Philosophen H. Schnädelbachs aufgreift und oft mit sehr guten Argumenten widerlegt (16-18 und in der Einzelauslegung). Am Ende umreißt Isermann „Die innerbiblische Toleranz im NT“ (245-57, u.a. mit einer Differenzierung der Gegensätze und Unterschiede, 246-252 und teils massiver Sachkritik und einem Plädoyer für einen Kanon im Kanon, unter dem Stichwort „innerbiblischer Kritik“, 271) und die Bedeutung der innerbiblischen Toleranz für die evangelische Kirche (259-70). Neben Details in den Auslegungen und der Betonung der Vielfalt im Neuen Testament liegt der Nutzen des Bands in der Herausforderung, die er an evangelikale Leser stellt: Wie legen sie diese Texte aus? Gibt es diese Vielfalt tatsächlich? Ist es eine teils gegensätzliche Vielfalt (so Isermann) oder eine Vielfalt in Harmonie? Wo es diese Vielfalt gibt, wie ist damit umzugehen? Isermann bietet, gepaart mit einem echten Anliegen für Bibel und Kirche, viele der bekannten kritischen Auslegungen und Argumente in verständlicher Form und lädt zur kritischen Auseinandersetzung mit seinen Auslegungen und seinen hermeutischen Prämissen ein (vgl. auch seinen Band Widersprüche in der Bibel: Warum genaues Lesen lohnt: Ein Arbeitsbuch, Biblisch-theologische Schwerpunkte 18 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000).
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2003
ISBN: 3-374-02048-8
Seiten: 256
€ Preis: 16,80 Euro