Erinnerungen
Autor: Wolfgang Schäuble
In seinen Erinnerungen nimmt Wolfgang Schäuble den Leser mit auf eine interessante und unterhaltsame Reise durch 50 Jahre deutsche Politik und Geschichte. Schäuble wird 1942 im badischen Freiburg geboren, studiert Jura und promoviert 1972 zum Doktor der Rechtswissenschaft. Im gleichen Jahr wird er Mitglied des Deutschen Bundestages und bleibt dies bis 2023 – ein Rekord. In seiner langen politischen Laufbahn bekleidet er nicht nur wichtige Ämter in seiner Partei (CDU), sondern amtiert u. a. als Innen- und Finanzminister sowie von 2017 bis 2021 als Präsident des Deutschen Bundestags. Unter Kanzler Helmut Kohl war er als Innenminister maßgeblich an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag (1990) beteiligt. Unter Kanzlerin Angela Merkel hatte er als Finanzminister die schwierige Aufgabe, die Folgen der Finanzmarktkrise zu bewältigen, die ab 2008 die Weltwirtschaft bedrohte. Er beschreibt ausführlich, wie die – letztlich durch Tricksereien von griechischen Politikern verursachte – Schuldenkrise Griechenlands in den Jahren 2011 bis 2015 den Euro und die gesamte EU massiv zu schädigen drohte. Auf den Seiten 540 ff. geht Schäuble ausführlich auf die Flüchtlingskrise und die am 4. September 2015 von Angela Merkel getroffene Entscheidung ein, hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen. Er gibt zu, dass diese umstrittene Entscheidung eine Sogwirkung entfaltete, die immer mehr Migranten nach Deutschland lockte. Dies habe zu einer Überforderung des Landes und zum Erstarken populistischer Parteien geführt. Schäuble attestiert seiner Vorgesetzten Merkel schwerwiegende Fehlentscheidungen, insbesondere ihr Festhalten am Familiennachzug, was die Einwanderung zusätzlich angeheizt habe. In dieser Phase habe die CSU über einen Sturz Merkels nachgedacht und Schäuble als Nachfolger vorgeschlagen – was dieser jedoch aus Loyalitätsgründen ablehnte (S. 547). Finanzmarktkrise, europäische Schuldenkrise, Flüchtlingskrise und dann ab 2020 die Coronakrise – Schäuble erkennt, dass die Politik in den letzten 20 Jahren fast nur noch im Krisenmodus arbeiten musste. Dazu kam bei ihm persönlich noch die starke gesundheitliche Einschränkung nach dem Attentat von 1990. Damals wurde er bei einer Wahlkampfveranstaltung durch Schüsse eines psychisch Kranken so schwer verletzt, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzen muss. Es ist beeindruckend, wie er mit eisernem Willen ins politische Leben zurückkehrt und den harten Alltag mit Arbeitszeiten von oft 14 bis 16 Stunden täglich meistert. Schäuble entstammt einem „bürgerlich-protestantischen“ Elternhaus (S. 25), und die dem Protestantismus zugeschriebenen preußischen Tugenden – Disziplin, Ehrlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit – sind für ihn wichtig. Doch über Gott und Glauben liest man in seiner Biografie kaum etwas. Noch immer ist es für viele Deutsche peinlich, öffentlich über ihren Glauben zu sprechen. Auch das Attentat scheint Schäuble nicht dazu bewogen zu haben, nach Gott zu fragen. So stirbt er Ende 2023 nicht mit Worten der Bibel oder eines geistlichen Liedes, sondern zu den Klängen eines Mozart-Violinkonzerts. Der Gedenkgottesdienst im Berliner Dom wird multireligiös von evangelischen, katholischen, griechisch-orthodoxen, jüdischen und muslimischen Würdenträgern zelebriert (S. 625). Schäubles Biografie macht deutlich, dass Spitzenpolitiker ein enormes Arbeitspensum bewältigen müssen, große Verantwortung tragen, unter hohen Belastungen stehen und oft nur wenig Zeit für ihre Familien haben. Deshalb ist es wichtig, die Ermahnung aus 1. Timotheus 2,1 ff. ernst zu nehmen und für die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft regelmäßig zu beten.Politische Karriere und zentrale Themen
Flüchtlingskrise und Merkel-Kritik
Leben im Krisenmodus
Schäuble und der Glaube
Fazit
Die Rezension/Kritik stammt von: Friedhelm Jung
Kategorie: Biografien, Lebensbilder
Jahr: 2024
ISBN: 978-3-608-98704-1
Seiten: 890
€ Preis: 29,99 Euro