Buch-Rezension: Die Starken und die Schwachen in Korinth und in Rom - Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1Kor 8,1-11,1 und Röm 14,1-15,13

Die Starken und die Schwachen in Korinth und in Rom

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Die vorliegende Studie des langjährigen Studienleiters am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen geht auf eine Doktoraldissertation zurück. Gäckle widmet sich oft vernachlässigten und doch zentralen neutestamentlichen Texten, die neben ihrer besonderen Verortung in den urchristlichen Gemeinden (den damaligen Konflikten, Spannungen und Lösungen!) wichtige Hinweise geben, wie Christen heute zum einen mit einer säkularen Umwelt umgehen können und zum anderen, wie mit Streitfragen und Spannungen in Gemeinden umzugehen ist.

Nach einem ausführlichen Forschungsüberblick zu beiden Abschnitten (3-35) beschreibt G. zunächst die Bedeutung von „Schwäche und schwach sein“ in der antiken Literatur (36-108) als Hintergrund für den paulinischen Gebrauch. G. vermutet, dass „die Starken hinter den Skrupeln der Schwachen ein defizitäres Urteils- und Erkenntnisvermögen diagnostizierten, das seinerseits auf mangelndem Wissen beruhte und eine psychisch-emotionale Schwäche zur Folge hatte“ (108).

Im Kapitel „Der Konflikt zwischen Starken und Schwachen in Korinth“ (110- 291) analysiert G. den eigentlichen Konfliktgegenstand umfassend, beschreibt die Starken und Schwachen als Gruppierungen der Gemeinde, die paulinische Argumentationslinie sowie die dahinter liegenden Argumentationsprinzipien (das Heil des Einzelnen, die Einheit und Auferbauung der Gemeinde, Liebe vor Erkenntnis, Freiheit aus dem Evangelium, das Vorbild von Jesus, Vermeidung von Götzendienst) sowie die Wirkungsgeschichte dieses Textes in der alten Kirche.

Anschließend untersucht G. ähnlich gründlich und gekonnt den Konflikt zwischen Starken und Schwachen in Rom (292-449). Wieder analysiert er die stadtrömische Konfliktsituation (das Profil der Gemeinden, der Abfassungszweck des Briefes, die Praxis der Speise- und Weinabstinenz und der Kalenderobservanz in der Antike), beschreibt detailliert die Schwachen und Starken (Identität und Positionen) und zeichnet die paulinischen Argumentationslinien nach: Konfliktlösung mit zwei Partnern, die gegenseitige Annahme nach dem Vorbild von Christus, die ethische Indifferenz der Speise und der Tage, die illegitime Verachtung und Verurteilung des Bruders. Argumentationsprinzipien des Paulus sind die gegenseitige Annahme, das Vorbild von Jesus, die Freiheit des Glaubens in Christus, die Liebe und Rücksicht auf den Bruder, der Ruf der Gemeinde in der römischen Öffentlichkeit sowie die Einheit der Gemeinde aus Juden und Heiden.

Ein weiteres Kapitel gilt der theologischen Interpretation von Schwachheit in der paulinischen Theologie (450-508, Analyse der Vorkommen von Schwäche und Stärke in 1-2 Kor). Abschließend bietet G. eine ausführliche Zusammenfassung (509-18) der historisch-theologischen Zusammenhänge in beiden Abschnitten. G. sieht in diesen Kapiteln zu Recht einen „Modellfall für die Bewertung und Behandlung kulturell begründeter Konflikte in der christlichen Gemeinde“ (516). Unter „Theologische Perspektiven“ (515-17) geht es daher um die heutige Bedeutung der paulinischen Weisung in die damalige konkrete Situation: Schwachheit als konstitutives Element des Menschseins, Schutz und Kritik kultureller Identität im Licht des Evangeliums, sowie „Starke und Schwache“ als mögliches Paradigma der Konfliktlösung. G. schreibt:

Von höchster Bedeutung ist zunächst die große Sachkenntnis einerseits und Behutsamkeit anderseits, mit der sich Paulus den gegebenen Konflikten nähert. Er versucht nicht, den Konflikt auf der Ebene der individuellen Anschauungen der einzelnen Konfliktpartner zu lösen, obwohl er seine theologische Einschätzung der Sachfragen nicht verschweigt, sondern hebt ihn zunächst auf die überindividuelle Ebene des gemeinsamen Miteinanders und der unabdingbaren Folgewirkungen der Praxis der Starken auf die Schwachen ... und in der Folge auch auf die weitere Öffentlichkeit. ... die Grenze kultureller Freiheit und Identität ist für Paulus dort erreicht, wo der Mitchrist in seinem Glauben gefährdet oder seine Freiheit und kulturelle Identität berührt werden“ (516f).

Die paulinische Argumentation ist ein Muster für das Streben nach Einheit in der Verschiedenheit: „So sehr der Apostel sich um die Einheit der streitenden Gemeinden bemüht, so wenig will er diese Einheit durch eine Uniformierung der Lebensstile erreichen. Vielmehr geht es um eine Einheit im Glauben, in der die unterschiedliche Herkunft, Vergangenheit und kulturelle Identität des Nächsten wahr- und angenommen werden soll“ (518). Angesichts der Länge der Studie und der Brisanz des Themas hätte dieser Abschnitt länger sein dürfen.

Insgesamt eine ausgezeichnete wichtige Studie aus evangelikaler Perspektive für die Auslegung dieser beiden Briefe (Beschreibung des Konflikts und Lösungsansatz, zu beidem mehr als in jedem Kommentar) und für unser Verständnis des Urchristentums und seiner Konflikte. Daneben bietet sie reichlich Inspiration für wissbegierige Verkündiger (die vor dicken Büchern nicht zurückschrecken!) und gibt interessante und hilfreiche Perspektiven für heutige Konflikte in und zwischen Gemeinden. Sicher lassen sich die paulinischen Prinzipien auch auf Konflikte innerhalb einer Kultur anwenden, z. B. zwischen den Generationen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Mohr Siebeck
  Jahr: 2005
  ISBN: 3-16-148678-1
  Seiten: 636
 €    Preis: 84,00 Euro

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