Die paulinische Kollekte
Autor: Byung-Mo Kim
Trotz ihrer Bedeutung für Leben und Werk des Paulus sowie für seine Theologie hat die paulinische Kollektensammlung in den heidenchristlichen Gemeinden zugunsten der Armen Jerusalems in der neutestamentlichen Wissenschaft bisher eher ein Schattendasein geführt. Der vorliegende Band greift wichtige Aspekte der paulinischen Kollekte auf. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Wesen der Kollekte, das der Autor in Anlehnung an Klaus Bergers These in Analogie zu den Almosen Gottesfürchtiger Heiden für Israel sieht: Die im Prinzip heidenchristlichen Gemeinden des Paulus verhalten sich zur Gemeinde in Jerusalem (Judenchristen) wie ‚Gottesfürchtige’ und ‚Sympathisanten’ zu jüdischen Gemeinden. Durch die Kollekte brachten die paulinischen Heidenchristen ihre Bekehrung zum Herrn Jesus Christus, ihre dadurch ermöglichte Zugehörigkeit zu den Jerusalemer Judenchristen und ihre Gemeinschaft mit Ihnen auch ohne Beschneidung und Gesetzesobservanz zum Ausdruck (5). Nach einem Forschungsüberblick beginnt Kim mit einer hilfreichen Untersuchung des Aufbaus und der Bedeutung von 2Kor 8. „Die Kollekte wird durchgeführt, um Gott zu ehren und den guten Willen des Paulus, d.h. die Gemeinschaft zwischen Heidenchristen und Judenchristen, durch die materielle Hilfeleistung zu verwirklichen“ (56). Das folgende Kapitel gilt dem Aufbau und der Bedeutung von 2Kor 9. In 2Kor 9 zeigt sich das Hauptanliegen des Paulus, nämlich „die Anerkennung der Korinther als vollberechtigte Mitchristen durch die Jerusalemer. Durch die Kollekte sollen die paulinischen-gesetzesfreien Heidenchristen von den petrinisch-gesetzesorientierten Juden- und Heidenchristen endlich anerkannt werden, und zwar als vollberechtigte und gleichrangige Mitchristen“ (96). Anschließend beleuchtet Kim das literarische Verhältnis von 2Kor 8 und 9 und spricht sich überzeugend für die literarische Einheitlichkeit dieser Kapitel aus (134). Nach die ser intensiven Arbeit am 2Kor will der Verfasser Ursprung, Wesen und Geschichte der Kollekte von Gal 2 her rekonstruieren (137-82). Den Historischen Ursprung der Kollektenvereinbarung sieht Kim auf dem Apostelkonzil in Jerusalem zwischen der antiochenischen Gemeinde und den Jerusalemern. Das Wesen der Kollekte ist ein „sichtbares Zeichen für die Gemeinschaft bzw. Einheit unter den christlichen Gemeinden aus Juden und Heiden“ (149). Die These, dass die Kollekte dem Modell der Almosen der Gottesfürchtigen Heiden für Israel folgt, kann Kim überzeugend belegen. So schreibt er: „Durch die Kollekte, die als materieller Hilfsdienst für die Armen in der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem von den makedonischen bzw. korinthischen Heidenchristen des Paulus unternommen wurde, kommen vor den judenchristlichen Kollektenempfängern der begnadete bzw. bekehrte Status der heidenchristliche Kollektengeber und damit zugleich die durch das Begnadetsein zwischen heidenchristlichen Gebern und judenchristlichen Empfängern bestehende Gemeinschaft zum Ausdruck“ (184). Dass sich Paulus und die Jerusalemer an einem Almosen-Modell orientiert haben, ist angesichts der auch anderweitigen Rückgriffe des Apostels auf das Alte Testament und die frühjüdischen Traditionen bezüglich der Heiden so wie ihres Verhältnisses zu Israel plausibel. Anschließend zeichnet Kim Anlass, Verlauf und Durchführung der Kollekte in den paulinischen Gemeinden nach (168-82). „Der Anlass für diese Kollektenaktion war die Verwirklichung des Plans des Paulus, nach Rom bzw. in den Westen des römischen Reiches zu reisen. Nachdem er seine Gemeinden an einigen wichtigen Orten im Osten … gegründet hatte, wollte er nun seinen lange gehegten Wunsch, auch im Westen zu missionieren, realisieren. Bevor er aber die Reise in den Westen antrat, wollte er seine Gesetzesfrei lebenden heidenchristlichen Gemeinden im Osten mit der im Prinzip Gesetzestreu lebenden judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem durch die Kollekte fest aneinander binden. Denn es bestand zwischen bei den Seiten aufgrund des gemeinsamen Gesetzesfreien Evangeliums hinsichtlich des Heils eine grundsätzliche Glaubensgemeinschaft“ (186). Der Band endet mit einer „Auswertung der Ergebnisse“ und mit einem Literaturverzeichnis (187-99). Bei vielen guten und hilfreichen Einsichten und manchen Anfragen im Detail ist zu bedauern, dass sich der Autor auf die Vorkommen im 2Kor und Gal beschränkt und den Befund des Röm mit seinen wichtigen Aussagen zu Wesen und Ziel der Kollekte (15,27) und auch die Hinweise der Apostelgeschichte nicht angemessen berücksichtigt, so dass die an sich wichtige Arbeit nur Teilaspekten gewidmet bleibt. Anzufragen ist ferner, ob bei einer anderen Zuordnung der Angaben in Gal 2,1-10 zur Apg eine befriedigendere Lösung entstehen würde. Wenn Gal 2,1-10 nicht mit dem Bericht vom sog. Apostelkonzil in Apg 15 gleich gesetzt würde („und im paulinischen Bericht über den Historischen Ursprung der Kollektenvereinbarung auf dem sog. Apostelkonzil …“), sondern mit dem Hungerhilfebesuch des Paulus und Barnabas in Jerusalem in Apg 11,27-31, dann entsteht ein anderes Bild. Dafür sprechen mehrere Gründe. Gal 2 passt besser zu Apg 11, d.h. anlässlich der Überbringung der Gaben der heidenchristl. Gemeinde Antiochias für die notleidenden Jerusalemer Christen wird vereinbart, dass Paulus auch weiterhin an die Armen dächte, was er sich auch eifrig bemüht hat, zu tun (Gal 2,10). In Apg 15 ist von materieller Hilfe oder gegenseitiger Verpflichtung keine Rede. Die Frühdatierung des Gal aufgrund der südgalatischen Hypothese findet immer mehr Vertreter. Für diese andere Gleichsetzung sind von evangelikalen Forschern immer wieder gewichtige Gründe vorgebracht worden. Mit der von Kim und weiten Teilen der Paulusforschung vorgenommenen Gleichsetzung entstehen eine ganze Reihe von Problemen, die dann umständlich und mit mehreren teils fragwürdigen Hypothesen gelöst werden müssen. Neben dem wertvollen Beitrag zum Leben, Mission und Theologie des Paulus sowie zur Auslegung von 2Kor 8-9 (mit den Aussagen zum Umgang mit Geld) wirft diese gründliche Studie anhand der facettenreichen paulinischen Kollekte auch bedeutende Fragen nach dem Miteinander von Gemeinden und Christen heute, ihrer gegenseitigen Wertschätzung, ihres Ringens um eine (durchaus auch handfeste) geistliche Einheit und auch nach der Bedeutung gegenseitiger (finanzieller) Hilfe auf. Wie und auf welche Weise kann diese von Christus gestiftete Gemeinschaft heute angemessen zum Ausdruck gebracht werden? Der von Paulus gewiesene Weg bietet Impulse für eine Neubesinnung, diese geistliche Gemeinschaft unter Gemeinden zu leben, zu pflegen und auszudrücken. Auch die häufig betonte und absolut verstandene Unabhängigkeit der Ortsgemeinde wäre von der paulinischen Kollekte her mit ihrem geistlichen Ziel und Willen zur überregionalen Einheit von Gemeinden so wie von anderen Hinweisen im Neuen Testament neu zu bedenken.
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2002
ISBN: 3-7720-2830-6
Seiten: 220
€ Preis: 44,00 Euro