Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie
Autor: Martin Hengel & Anna M. Schwemer
Die vorliegende Studienausgabe des 2001 erschienenen Bandes macht vier interessante Aufsätze preisgünstiger zugänglich. Von Hengel liegen bereits mehrere wichtige Beiträge zur urchristlichen Christologie vor. In diesem Band zeigen die Autoren, dass der „unmessianische Jesus“, der viele Jahre in weiten Teilen der wissenschaftlichen Jesusforschung vertreten wurde, lediglich ein Konstrukt ist. Christen damals und heute bekennen Jesus von Nazareth zu Recht als den verheißenen Gesalbten des AT, weil Jesus selbst in Worten und Taten diesen Anspruch erhob und von Gott als solcher vielfältig bestätigt wurde. Der Messias ist der „von Gott erwählte und gesandte eschatologische Heilbringer und Erlöser, der die endzeitlichen verheißungen der Tora und der Profeten erfüllt, der in der ihm von Gott gegebenen Vollmacht das gestörte Verhältnis Israels mit seinem Gott in Ordnung bringt und eben dadurch Heil schafft“ (xiii). Im ersten Aufsatz untersucht Hengel Jesus als den Messias Israels (1-80). Dazu beleuchtet er die Vorkommen der Bezeichnung Christus (griech. für Messias) bei Paulus, die Auferstehung von Jesus und beschreibt die verschiedenen Ansätze in der bisherigen Forschung und die sich stellenden Probleme. Anschließend zeigt er, wie die ersten Christen Jesus als den gekreuzigten Messias bekannt haben und stellt dar, wie sich die Titel Messias und Menschensohn zueinander verhalten. Abschließend beschreibt Hengel das messianische Wirken von Jesus. Gegen die These eines nicht-messianischen Jesus ist festzuhalten, „dass Jesus mit ‘messianischer’ Vollmacht, die er ... auf seine ganz eigene Weise interpretierte, auftrat und als messianischer Prätendent hingerichtet wurde. Nur so werden die Entwicklung der nachösterlichen Christologie, die Berichte über seine Passion und seine Wirksamkeit historisch (und theologisch) verständlich. ... Jesus ... lebte in der Sprache und Bilderwelt des AT und seiner jüdisch-galiläischen Umwelt, und er trat mit dem ... Anspruch auf, Gottes Herrschaft über Israel (und alle Völker) einzuleiten und als mit Gottes Geist ‘Gesalbter’, d.h. in der Vollmacht Gottes, selbst die Verheißungen an die Väter und Profeten zu erfüllen. Diesen Anspruch hat er mit dem – von ihm bewusst bejahten – Tod besiegelt. Ich glaube, dass sich dieser Sendungsanspruch mit den Mitteln historisch-philologischer Forschung aus den Quellen zumindest in deutlichen Umrissen herausarbeiten und sichtbar machen lässt“ (79f). In seinem zweiten Beitrag, „Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie“ (81-131), zeigt Hengel welche Rolle das aus dem AT bekannte Konzept der Weisheit und die Weisheitsliteratur für die Verkündigung von Jesus und das urchristliche Verständnis von ihm gespielt haben. Er untersucht die Aussagen des Herrn zur Weisheit, den sog. Heilandsruf in Mt. 11,28-30, den weisheitlichen Grundzug seiner Verkündigung, das Verhältnis zwischen Weisheit und dem Heiligen Geist und die große Bedeutung der Weisheit für das urchristliche Verständnis des Wesens und Wirkens von Jesus. Die ersten Christen standen vor der Herausforderung, „die einzigartige Würde der Offenbarung Gottes in seinem ‘Gesalbten’ und ‘Sohn’ Jesus von Nazareth in einer schlechterdings unüberbietbaren Weise zum Ausdruck zu bringen, die alle bisherigen jüdischen Erhöhungs- und Mittlervorstellungen von Gottesmännern, Lehrern, Profeten und Engeln in den Schatten stellte. Die sprachlichen Mittel um diese einzigartige Würde auszusagen, gab allein die jüdische Weisheitslehre an die Hand“ (130). In ihrem Beitrag „Die Passion des Messias nach Markus und der Vorwurf des Antisemitismus“ (133- 63) greift Schwemer einen oft (auch von Juden) gegen die Evangelien mehr oder weniger massiv erhobenen Vorwurf auf. Auch in den verschiedenen Medien wird regelmäßig vertreten, dass die Darstellung der Evangelien nicht den Tatsachen entspräche, sondern dass die Evangelisten die (eigentlich am Tod von Jesus schuldigen) Römer entschuldigen wollten und die Verantwortung für seinen Tod allein den Juden zuschoben. Damit seien das NT und die Kirche am Antisemitismus schuld. Die Diskussion um den Film „Die Passion“ hat diese Sachlage erneut gezeigt. Schwemer skizziert zu nächst die Quellenlage (außerbiblische Quellen und das MkEv) und schildert dann das Verfahren gegen Jesus vor dem Hohenpriester und den römischen Prozess nach dem MkEv. In der Zusammenfassung schreibt sie: „Von einer grundsätzlichen ‘antijüdischen Tendenz’ bei Markus kann man keinesfalls sprechen. ... Dem jüdisch-christlichen Gespräch heute dient man nicht, indem man klare Quellenaussagen aus einem gewissen, z. Zt. modischen Gegenwartsinteresse verdreht, sondern indem man die historischen Vorgänge zwischen der Textentstehung und dem ursprünglichen Geschehen, das erzählt werden soll, in ihrer Vielschichtigkeit bedenkt“ (163). Doch wollte Markus nicht nur einfach berichten: „Es geht ihm in seiner Darstellung der Passion des Messias Jesus um das Heil für alle Menschen und nur am Rande um Apologetik und Polemik“ (163). Ferner beschreibt Schwemer, wie das christliche Bekenntnis zu Jesus als Prophet, König und Priester entstanden ist (165-230). In diesen Studien wird deutlich, dass das urchristliche Bekenntnis zu Jesus als dem Messias Gottes für Israel und die ganze Welt keine nachösterliche Rückprojektion ist – so die gängige Erklärung der historisch-kritischen Forschung – sondern auf Jesus selbst zurückgeht. Die Darstellung der Evangelien, dass Jesus um seine Messianität wusste und entsprechend auftrat, ist nicht nur wesentlicher Teil des urchristlichen Bekenntnisses, sondern ist Historisch zuverlässig und lässt sich Historisch begründen. Trotz dieses richtigen und wichtigen Anliegens wünschte man, dass sich die Autoren an manchen Stellen noch weiter von kritischen Voraussetzungen freimachen würden (z.B. der späten Datierung einzelner bibl. Bücher) und den ein geschlagenen Weg konsequenter gingen. Dennoch sind diese Studien eine lohnende, wenn auch nicht ganz einfache Lektüre zu zentralen Fragen zu Jesus, dem Urchristentum und dem christlichen Glauben. Sie hinterfragen oft wiederholte Thesen mit großer Sachkenntnis und leiten zu einem vertieften Verständnis des Wesens und Wirkens von Jesus an.
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Sonstiges