Der Griff zur Macht
Autor: Martin Erdmann
Martin Erdmann weist als Beobachter der nordamerikanischen evangelikalen Bewegung auf eine Entwicklung hin, die Christen in Deutschland zuerst einmal befremdlich vorkommt. Dass Evangelikale eine politische Größe darstellen und den Ausgang von Präsidentenwahlen beeinflussen können, liegt für viele außerhalb ihres Vorstellungskreises. Dass sich deswegen Präsidentschaftskandidaten dazu genötigt fühlen, in Rick Warrens Gottesdienst aufzutreten, erscheint exotisch. Als Christen erleben sie sich hier als unbedeutende Randerscheinung der Gesellschaft, auf die niemand ernsthaft Rücksicht nehmen muss. Die Großkirchen, als große gesellschaftliche Gruppen, erlebt man in ihrer politischen Einflussnahme eher als mit dem Strom schwimmend und eine Stimme im Chor. Wir haben uns so an die Trennung von Staat und Kirche gewöhnt, dass uns die Zeiten sehr fern vorkommen, als die Kirche auch in Europa nach der Macht gegriffen hatte. Dass sie sich in solchen Zeiten nicht etwa als der bessere Machthaber erwies, sondern auch mit besten Absichten sehr schnell korrumpiert war, weiß man nur aus Kirchengeschichtsbüchern. Martin Erdmann will aufzeigen, wie evangelikale Leiter gezielt in Netzwerken zu einer „Transformation” der Gesellschaft beitragen wollen. Unter dem Begriff „Dominionismus“ verbindet er Ideen aus den charismatischen Bewegungen von einer geistlichen Kampfführung zur Zurückdrängung von dämonischen Mächten mit Evangelisations- und Gemeindebauinitiativen und Plänen gezielter Beeinflussung der Kultur, um diese für Christus umzugestalten. War man über die massive Unterstützung amerikanischer Christen für den Kriegseinsatz zum Sturz Saddam Husseins im Irak bei uns befremdet, so erfährt man im vorliegenden Buch, dass das nicht nur amerikanischer Patriotismus gewesen sei, sondern eine gezielte Idee, ein Königreich für Jesus Christus aufzubauen, auch mit militärischer Macht. Erdmann fragt und versucht zu beantworten: „Wie konnte es geschehen, dass die evangelikalen Leiter plötzlich in aller Öffentlichkeit zu prahlen begannen, ganze Nationen ihrer vermeintlichen militärischen und politischen Macht unterordnen zu können? Wie war es möglich, dass die Bedeutung des Begriffs ‚Mission’ so ausgeweitet wurde, dass man darunter bisweilen das mittels Flugzeugträgern, Jagdflugzeugen und Panzern erwirkte Umstürzen der Regierungsformen anderer Länder verstand? Wann ging man dazu über, unter der ‚christlichen Mission’ nicht mehr vornehmlich die Verkündigung des Evangeliums in anderen Kulturräumen zu verstehen, sondern die Förderung des kommerziellen Betriebs von internationalen Großkonzernen? Wo liegen die Ursprünge für die Auffassung, dass der Missionsbefehl Christi nur dann erfüllt werden würde, wenn die Weltbevölkerung unter der politischen Dominanz der Christen der westlichen Hemisphäre stünde?” (55). Die Gründe, die Martin Erdmann für diese Entwicklung nennt, sind zu einem Teil durchaus christlicher Liebe entsprungen. Zu einem anderen Teil sieht er sie aber auch auf dem Mist von Philosophen, Managementtrainern und Esoterikern gewachsen. Muss man kritisieren, dass die Lausanner Erklärung 1974 die Christenheit auch an ihre diakonische Aufgabe erinnerte? Ich meine Nein. Aber Erdmann sieht dort eine Saat ausgestreut, dass für manche die Erfüllung des Missionsbefehls nicht mehr darin bestehen soll, Menschen das Evangelium und den ganzen Willen Gottes zu verkünden und sie in Gemeinden einzugliedern, sondern auch gegen den Hunger in der Welt zu kämpfen. Aufgegangen ist sie für ihn dort, wo C. Peter Wagners Lehren des „Dominionimus” unter vielen Evangelikalen auf keinen Widerstand mehr stoßen. „Es erklärt auch, warum Rick Warren mit Bill Gates und Bono zusammenarbeiten kann, um die Aids-Epidemie zu bekämpfen und die Kirche für die UN-Millenium- Entwicklungsziele einzuspannen. ... In der Tat ist dies eine Umkehrung dessen, was man traditionell unter christlicher Mission verstanden hat” (75). Dass Christen den Armen nicht nur das Evangelium verkündigt haben, sondern auch ihr Brot und ihren Mantel geteilt haben, wo immer sie konnten, sei von der Tat der Liebe zu einer Strategie geworden, um dem Evangelium zum Durchbruch zu verhelfen und die Gesellschaften zu transformieren. Die „Gesellschaftstransformation” haben einige Evangelikale zur „zweiten Reformation” erklärt. Führte die erste zum Evangelium zurück, so soll die zweite zur sozialen Verantwortung führen und schließlich die gesamte Gesellschaft verändern. Die Bibel benutzt das Wort „Transformation” oder „Umwandlung” hauptsächlich für die Heiligung des Lebens der Christen und geht davon aus, dass Christen dann auch ihre Umgebung beeinflussen werden. Dem Dominionismus sei das aber nicht genug. Er wolle strategisch Gesellschaft verändern, so dass sie zu einem Reich für Christus wird. Martin Erdmann nimmt wahr, dass an den Rändern dieser Bewegung Esoteriker Einfluss nehmen, die offen für Religionsvermischung werben. Dass in der Mitte mit Rick Warren ein auch in Deutschland Einfluss ausübender Pastor steht, darin sieht er ebenso eine Gefahr. Darum widmet er ihm ein umfangreiches Kapitel und gibt Einblick in den Wurzelboden seines Denkens. Wie stark Warren auf dem philosophischen Boden von Peter Drucker, einem österreichischen Sozialphilosophen, steht, der mit der Bibel wenig, aber mit Humanismus und Esoterik umso mehr am Hut hat, dürfte weithin unbekannt sein. Erdmann zählt die Erscheinung, dass in manchen Kirchen anstelle des Evangeliums eine neue mystische Spiritualität einzieht, auf deren Grundlage man sich darin einig wird, ein Reich für Christus auf der Erde aufzubauen, auch zur Strategie des „Dominionismus“. An einigen Stellen deutet Martin Erdmann an, inwieweit die eigentlich amerikanische Bewegung in Deutschland und der Schweiz Einfluss ausübt. Ob allerdings in Deutschland auch die weitreichenden strategischen Entscheidungen, die es in Amerika zu geben scheint, eine Entsprechung haben, muss bezweifelt werden. Dass aber Ideen in Gemeinden einsickern, die Evangelisation nur noch gepaart mit sozial-diakonischem Handeln als gerechtfertigt ansehen, dass man es teilweise für einen allgemeinen christlichen Auftrag hält, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, ist offenbar. Auch erhält die Idee der Gesellschaftstransformation als christlicher Sendung teilweise Boden. Es ist aber sicher verfehlt, diakonisches Handeln im Grundsatz zu verdächtigen, wie es das Buch nahelegen könnte. Auch erscheint es mir so, dass der „Dominionismus“ mehr eine Idee einiger Strategen darstellt als eine gemeinsame Strategie „der“ Evangelikalen. Es ist dem Buch trotzdem zu wünschen, dass seine Thesen offen diskutiert werden und man sich selbstkritisch mit der Analyse auseinandersetzt. Es ginge sicher an der Intention des Autors vorbei, wenn seine Darstellung zur Munition würde, um sich in der evangelikalen Bewegung gegenseitig zu verdächtigen und zu beschießen. Nicht jeder, der schon ein Buch von Rick Warren positiv bewertet hat, ist deswegen ein Anhänger all seiner Ideen. Vielmehr sollten die aufgezeigten Kritikpunkte zur Besinnung auf das führen, was Gottes Wort von jedem Christen und der christlichen Gemeinde will. Dabei kann es niemals ein Ziel von Christen sein, dem Evangelium durch gesellschaftliche Macht Raum zu verschaffen, sondern allein durch das schlichte, liebevolle Zeugnis vom Glauben. Die „offene Tür” muss Jesus selbst schenken, die schaffen nicht Christen. Dass Jesus durch sein Evangelium und durch den Glauben veränderte Menschen auch Kulturen und damit Gesellschaften prägt, das steht außer Zweifel. Ursache und Wirkung umzudrehen, dafür gibt es aber keine biblische Berechtigung.
Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2011
ISBN: 978-3-935558-97-6
Seiten: 287
€ Preis: 7,90 Euro