Der einzig wahre Bibeltext?
Autor: Martin Heide
In der mittlerweile zweiten, verbesserten Auflage des vorliegenden Buches nimmt der Autor Stellung zur Debatte um den sog. „Textus Receptus“ (die von der Zeit der Reformation bis zum 19. Jahrhundert geläufige Form des griechischen NT, die auf Erasmus von Rotterdam zurückgeht; nachfolgend TR). In sechs von insgesamt acht Kapiteln werden dabei der persönliche und zeitgeschichtliche Hintergrund des Erasmus, dessen Arbeitsweise und die Qualität des von ihm herausgegebenen griechischen NT gründlich beleuchtet. In Kapitel 4 wird eine kurze Darstellung verschiedener textkritischer Methoden eingeschoben. Im achten Kapitel wird auf die Frage eingegangen, welche Art von Bibelübersetzung die beste sei. Grundsätzlich ist sowohl der sachliche Ton als auch die gründliche Arbeit des Verfassers er freulich. Z. B. weist er darauf hin, dass sich die Unterschiede selbst zwischen TR und Nestle-Aland (NA) sehr in Grenzen halten und keineswegs „dadurch die Grundlehren des Christentums gefährdet würden“ (S. 88). Gut auch, dass der Autor zahlreiche Mythen gründlich widerlegt, die von Anhängern des TR in Umlauf gesetzt wurden. So wird in den ersten beiden Kapiteln anhand zahlreicher Originalzitate des Erasmus nachgewiesen, dass dieser keineswegs ein Gläubiger im evangelischen Sinne war, sondern bis zu seinem Tod ein entschiedener Anhänger Roms, der die Autorität der Heiligen Schrift dem Papsttum unterordnete (manche TR-Anhänger meinen, Erasmus müsse gläubig gewesen sein, da nur wahre Gläubige eine Bibelausgabe richtig bewerkstelligen könnten). Dennoch würdigt der Verfasser das Werk des Erasmus auf faire Wei se. Kapitel 3 beschreibt kurz die Entstehungsgeschichte des griechischen NT des Erasmus so wie der späteren von ihm abhängigen TR-Ausgaben; in Kapitel 4 geht der Verfasser auf die neuere Textkritik ein. Zu Recht weist er darauf hin, dass der Mehrheitstext (MT) als Textzeuge nicht unterbewertet werden darf. Was jedoch erstaunt: Heide plädiert dafür, dass der MT dem Urtext am nächsten stünde. Hierzu führt er Beispiele an, in denen alte Papyri mit dem MT gegen den NA übereinstimmen. Das mag auf den ersten Blick beeindrucken, hat aber einen entscheidenden Mangel: Wie bereits in Bibel und Gemeinde 1/2004 erwähnt, stimmen die frühen Papyri zwar vereinzelt mit dem MT überein, doch insgesamt entspricht ihr Charakter dem alexandrinischen Texttyp und nicht dem MT, der besonders dazu neigt, alle bis dahin bekannten Lesarten zu einer einzigen, längeren zu kombinieren. Dass die Papyri für die Existenz des MT als solchem vor dem 5. Jahrhundert sprächen, darf deshalb mit gutem Grund bezweifelt werden (auf S. 89 räumt Heide selbst das Fehlen entsprechender MT-Handschriften ein). Nachdem Heide in Kapitel 5 kurz die textkritischen Ansätze des Erasmus beschreibt, bringt er in Kapitel 6 und 7 zahlreiche gut belegte Beispiele, wo Erasmus den griechischen Text aufgrund der lateinischen Vulgata verändert bzw. ergänzt hat und so mit den Urtext zweifellos nicht richtig wiedergibt. Das sog. „Comma Johanneum“ (1Jo 5,7f) und die Offenbarung werden hier besonders gründlich behandelt. Viele Quellen werden im Original zitiert und durch Abbildungen ergänzt. Da sie meist, aber nicht immer übersetzt werden, mindert das leider den Nutzen des Buches für die, welche die Zitate nicht verstehen können. Richtet sich das Buch gemäß der Einführung (S. 5f) vor allem an solche Leser, die der biblischen Sprachen nicht mächtig sind, so dürften gerade diese an mancher Stelle überfordert sein. Im letzten Kapitel streift der Verfasser noch kurz die Frage, welche Art von Bibelübersetzung die beste sei. Heide plädiert für eine wörtliche Übersetzung und weist auf methodische Schwächen moderner Übertragungen wie „Gute-Nachricht-Bibel“ und „Hoffnung für alle“ hin. Jedoch wird dieses Thema nur angerissen; um ihm gerecht zu werden, müsste man intensiver darauf eingehen. Fazit: Von den o.g. Schwachpunkten abgesehen ein gut fundiertes Werk, das manche Irrtümer über den TR zu rechtrückt und dies bezüglich durchaus zu empfehlen ist.
Die Rezension/Kritik stammt von: Joachim Schmitsdorf
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2002
ISBN: 3-933372-86-0
Seiten: 357
€ Preis: 24,80 Euro