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Buch-Rezension: Das rätselhafte Gewebe unserer Wirklichkeit und die Grenzen der Physik

Das rätselhafte Gewebe unserer Wirklichkeit und die Grenzen der Physik

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Natürlich kann man das Modell der modernen Physik über den Aufbau und die Entstehung des Universums, in dem wir leben, nicht auf gut 204 Seiten und mit 30 Abbildungen darstellen. Insofern bietet der vorliegende Titel einen ausgesprochen gut gelungenen Versuch, das gängige physikalische Weltbild mit Relativitätstheorie und Quantenmechanik, mit seiner „Schöpfungsgeschichte“, der Urknalltheorie, und den inneren Zusammenhängen der Elementarteilchen allgemeinverständlich darzustellen. Das gelingt dem früheren Professor für Nanophysik Gerd Ganteför, soweit unsere überaus komplexe Wirklichkeit überhaupt (anschaulich) erklärbar ist. Viele Zusammenhänge lassen sich nur in mathematische Formeln fassen, andere erscheinen in sich widersprüchlich, so dass man einen Knoten im Gehirn bekommen kann, wenn man versucht, sich das vorzustellen.

Das Buch hier zu besprechen, hat verschiedene Gründe. Zum einen diskutiert Gert Ganteför ernsthaft die Möglichkeit, dass das Universum erschaffen wurde. Er lehnt diese Lösung für die vielen unerklärlichen Beobachtungen der Physik verständlicherweise als unwissenschaftlich ab. Es gelingt ihm im ganzen Buch auch nicht, den Gedanken zuzulassen, dass die Erschaffung der Wirklichkeit nicht im Gegensatz zu physikalischen Erklärungen steht, sondern sie ergänzt bzw. den notwendigen Rahmen bieten könnte. Das wird an der einen und anderen unnötig abfälligen Bemerkung über die Erkenntnisse früherer Generationen deutlich. Ungewollt komisch wirken dann solche Aussagen wie, man wisse doch heute, dass „niemand ein Kaninchen aus dem Hut zaubern könne, wenn es vorher nicht da war“. Einerseits kann man begründet bezweifeln, dass „früher“ so etwas allgemein geglaubt wurde. Andererseits haben manche Theorien der Physik etwas von Tricks, bei denen „hervorgezaubert“ werden soll, was nicht zu finden ist. Ganteför macht selber mit einer Fabel über wundersame Theorien von Wesen in einer „Dunkelwolke“ auf das Problem aufmerksam. Allerdings tendiert er selber zu einer „Schöpfungsgeschichte“, die den Anfang von allem in der Information sieht und nicht allein in hochverdichteter Materie. „It from bit.“ Er wagt, auszusprechen, dass Geist am Anfang stand, um es gleich wieder zu relativieren.

Das Faszinierende an dem Buch ist, dass hier jemand von Anfang bis Ende deutlich macht, welche komplexen Überlegungen notwendig sind, um überhaupt Erklärungen für das Universum zu bieten, in dem wir leben. Dabei wird zugleich klar, dass es sich bei den Erkenntnissen um Theorien und Modelle der Wirklichkeit handelt und dass diese Modelle voll großer Lücken sind. Ganteför stellt fest, dass die Lücken oft mit Theorien „geflickt“ werden, für die es keine Belege gibt. Grundlegende Beobachtungen können nicht erklärt werden. Ganteför zeigt das auf, indem er sich fragt, was man braucht, um unser Universum zu bauen. Dann stellt er die Modelle zur Raum-Zeit, zu den Elementarteilchen und -kräften, den Naturgesetzen und Naturkonstanten dar. Dabei stößt er immer wieder an die Grenzen des Wissens, die er im zweiten Teil des Buches genauer beleuchtet. Zum Beispiel sind die Naturkonstanten so unwahrscheinlich feinjustiert, dass die kleinste Abweichung bedeuten würde, dass Leben nicht möglich und das Universum steril wäre. Für einige Beobachtungen erscheint das Universum selbst bei angenommenen 13,7 Milliarden Jahren Alter als viel zu jung. Nur würde ein höheres Alter auch nichts erklären, weswegen man eine zeitweise Ausdehnung des Weltalls mit Überlichtgeschwindigkeit in die Theorie des Urknalls als „Flicken“ eingebaut hat. Das Universum könnte auch nicht stabil zusammenhalten ohne etwas, was „dunkle“ Materie und „dunkle“ Energie genannt wird, von der aber niemand weiß, was das ist, obwohl beides den allergrößten Teil (je nach Ansatz zwischen 65 und 95 %) des Universums ausmachen müsste.

Ich empfinde es als erfrischend, wie Gert Ganteför erklärt, ohne die gegenwärtige Physik in Frage zu stellen, aber dabei nicht über die Lücken und „Flicken“ schweigt. Das liegt wohl daran, dass man es meist anders zu hören bekommt. Oft klingt alles so glatt und ohne Widersprüche, ohne einen Raum für kritische Nachfragen. Man soll einfach glauben, dass der Mensch über das All Bescheid weiß und Gott dafür nicht gebraucht werde. Wenn der Gott, der uns in der Bibel vorgestellt wird, Himmel und Erde erschaffen hat, dann ist zu erwarten, dass sowohl der Kosmos im Großen als auch die kleinsten Einheiten der Elementarteilchen so komplex sind, dass das jedes menschliche Denken übersteigt.

Das Buch von Gert Ganteför bleibt trotz der angestrebten Allgemeinverständlichkeit anspruchsvoll. Man sollte ein gewisses Grundverständnis und Interesse für Physik mitbringen, um nicht verwirrt zu werden. Dann aber wird man feststellen, wie viele physikalische Theorien in die Grenzbereiche von Religion und Glaube reichen. So zeigt Ganteför, wie schwer sich die Physik damit tut zu erklären, was Zeit ist, obwohl sie im Zusammenhang der Raumzeit gewissermaßen das Wasser ist, in dem wir wie Fische schwimmen. Der Versuch, das über die Naturgesetze der Entropie zu erhellen, führt dazu, dass Ewigkeit verstanden wird als ein Zustand, in dem nichts mehr passiert. Ewigkeit ist dann gewissermaßen Tod oder Nichts. Ganteför wird aber getragen von der Hoffnung, dass es vielleicht doch eine übergeordnete Theorie geben mag, auch wenn er die gegenwärtig angebotenen (z.B. die Stringtheorie) offenbar nicht für überzeugend hält.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Westend
  Jahr: 2023
  ISBN: 978-3864893834
  Seiten: 204
 €    Preis: 24,00 Euro