Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels
Autor: Reinhard Gr. Kratz
Der vorliegende Band des Göttinger Professors für Altes Testament ist keine Gesamtdarstellung jüdischer Geschichte, Kultur und Religion vom Ende des Alten Testaments (bzw. dem Wiederaufbau des Tempels 520 v. Chr.) bis 70 n. Chr., wie man vom Titel her erwarten könnte. Vielmehr handelt es sich um vierzehn Aufsätze zu Einzelfragen der Entstehung des Judentums in diesem Zeitraum. Kratz gibt in den Einführungen zu den einzelnen Teilen des Bandes jeweils eine vorbildliche Einleitung in die Problemstellung und in den Forschungsstand. Im ersten Teil, „Die Entstehung des Judentums“, beschreibt Kratz die Kontroverse zwischen E. Meyer und J. Wellhausen. Unter der Überschrift „Fremdherrschaft“ geht es im zweiten Teil um „Babylon im Alten Testament“ (28-39, u. a. mit interessanten archäologischen Überlegungen zu Daniel 4,26-31) so wie um „Nabonid und Kyros“ (40-54, zum Übergang der Herrschaft vom letzten babylonischen König Nabonid auf den Perser Kyros 539 v. Chr., Zusammenstellung und in struktive Diskussion der verschiedenen Quellentexte). Unter „Jüdische Geschichte“ folgen die Studien „Der zweite Tempel zu Jeb [Elephantine in Ägypten] und zu Jerusalem“ (60-78), „Serubbabel und Joschua“ (79-92; die beiden Hauptakteure beim Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem) und „Statthalter, Hohepriester und Schreiber im perserzeitlichen Juda“ (93-119; ein Vergleich ausserbiblischen Quellen, zu meist Inschriften, mit der biblischen Überlieferung). Weitere Beiträge sind „Innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte im Lichte empirischer Evidenz“ (126-56) und „Die Suche nach Identität in der nachexilischen Theologiegeschichte: Zur Hermeneutik des chronistischen Geschichtswerkes und ihrer Bedeutung für das Verständnis des Alten Testaments“ (157-80). Im Teil „Theokratie und Eschatologie“ bietet Kratz „Reich Gottes und Gesetz im Danielbuch und im werdenden Judentum“ (183-226); „Die Visionen des Daniel“ (227-44), „Die Gnade des täglichen Brots: Späte Psalmen auf dem Weg zum Vaterunser“ (245-79, herangezogen wer den Ps 104, 136,25, 145- 147) und „Die Tora Davids: Psalm 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters“ (280-311). Am Ende stehen die Beiträge „Die Rezeption von Jer 10 und 29 im pseudepigraphischen Brief des Jeremia“ (316-39) und „‘Öffne seinen Mund und seine Ohren’: Wie Abraham Hebräisch lernte“ (340-51, zur Wiedergabe der biblischen Abrahamsgeschichte im frühjüdischen Jubiläenbuch und zu apokryphen Abrahamstraditionen und deren christlicher, jüdischer und islamischer Fortschreibung). Literaturverzeichnis und Stellenregister beenden den Band. Bei vielen interessanten Detaileinsichten und Anregungen (gerade in der theologischen Deutung der Ereignisse in den Quellen) handelt es sich deutlich um einen Band, der sich an Forscher wendet und in vielem auf den Prämissen der historisch-kritischen Erarbeitung des Alten Testaments beruht und von daher argumentiert (starke Zweifel an vielen historischen Angaben).
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte