Buch-Rezension: Das Geschenk der Gnade

Das Geschenk der Gnade

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Sollte man ein Buch schreiben, dass sich nur um ein einziges Wort dreht: Gnade? Dieses eine Wort wird gerne in einem Atemzug mit mindestens noch einem anderen Wort erwähnt: Gnade und Wahrheit, Gnade und Gesetz, Gnade und Barmherzigkeit. Andy Stanley hat es gewagt, sich nur auf das eine Wort zu konzentrieren. Im Englischen gibt es bereits dutzende Bücher zu diesem Thema. Auch im Deutschen gibt es einige (z.B. „…voller Gnade und Wahrheit“ von Randy Alcorn und „Überwältigt von Gnade“ von John Piper). Aber „Das Geschenk der Gnade“ von Andy Stanley, das dieses Jahr erschien, ist anders. Es ist anders, weil es kein typisches theologisches Sachbuch darstellt, sondern es ist ein Versuch die „Geschichte der Gnade“ zu erzählen. Wie ich finde, ein gelungener Versuch. Der Autor schreibt in der Einleitung:

Gnade versteht man am besten, wenn man sie im Kontext von Beziehungen betrachtet. […] Mir schien es daher am besten, dieses Thema anzugehen, indem ich die Geschichte der Gnade erzähle. Diese Geschichte beginnt ganz am Anfang. Sie lässt sich durch jedes einzelne Buch des Alten und Neuen Testaments verfolgen.

Geschichten erzählen kann Andy Stanley gut. Ich möchte sogar sagen sehr gut. Dabei sind es nicht die profanen Geschichten, die amerikanische Autoren oft dazu benutzen, beim Leser Interesse für die eher trockenen Textabschnitte zu wecken und zum Weiterlesen zu motivieren. Nein, es sind Geschichten aus der Bibel, die dem versierten Bibelleser durchaus bekannt sind. Aber wenn Andy Stanley sie erzählt, wirkten diese Geschichten wie unbekannt und werden neu lebendig und auch spannend. Wichtiger und gewichtiger ist jedoch, dass in all diesen Geschichten die Gnade Gottes in den schwachen Menschen wie ein wertvoller Diamant im neuen Glanz erstrahlt. Es muss Gottes Absicht gewesen sein, dass er seine Gnade in irdischen Gefäßen aufbewahrt, „damit die überragende Kraft von Gott sei und nicht von uns“ (siehe 2Kor 4,7).

Alle Geschichten in diesem Buch haben eines gemeinsam. Gott erweist seine Gnade anderes als wir Menschen es erwarten. Das Wie, Wann und Wem entscheidet allein Gott (siehe Röm 9,14-15). Das macht zuweilen den großen Gott für uns Menschen unberechenbar. Überraschungen sind also vorprogrammiert. So ist Gnade!

Mehr als die Hälfte des Buches (S. 11-122) ist den Geschichten des Alten Testaments gewidmet. Hier ein Überblick:

  1. Schöpfung und Sündenfall
  2. Die Geschichte Abrahams
  3. Die Geschichte Josephs und Judas ***
  4. Die Zehn Gebote I
  5. Die Zehn Gebote II
  6. Die Geschichte Rahabs
  7. Die Geschichte Davids ***
  8. Die Geschichte Jonas

Die Kapitel mit den drei Sternchen sind meine absoluten Favoriten. Lies das Buch, und du wirst feststellen warum. Das sind übrigens nicht die Originalüberschriften aus dem Buch. Die sind nämlich kreativer. Meine Überschriften sollen nur andeuten, was das Buch inhaltlich zu bieten hat.

Den Übergang zu den Geschichten des Neuen Testaments schafft der Autor mit dem Kapitel „Zwischenspiel: Sela“. Hierbei beleuchtet er die 400 jährige Zeit zwischen dem AT und dem NT. „Der Himmel wollte es, dass eine lange, dramatische Pause die Geschichte der Gnade Gottes unterbrach“ (S. 123). Umso kräftiger und breiter tritt die Gnade Gottes durch Jesus Christus in Erscheinung (S. 127-210). Auf Anhieb fallen einem Menschen aus dem Neuen Testament ein, die durch Gottes Gnade zu neuen Menschen wurden. Andy Stanley greift die meisten dieser Geschichten auf. Auch bei diesem zweiten sehr aufschlussreichen Teil, hatte ich einige Aha-Erlebnisse. Ich lernte beim Lesen neu über die Gnade Gottes zu staunen. Auch über die Gnade Gottes in meinem Leben.

Das letzte Kapitel ist ein Plädoyer an die Gemeinde. Die These Andy Stanleys lautet: „Die Kirche ist dann am attraktivsten, wenn die Botschaft der Gnade ganz deutlich ist.“ Auch wenn ich überzeugt bin, dass Attraktivität nicht das oberste Ziel der Gemeinde Christi ist, bin ich jedoch genauso davon überzeugt wie der Autor, dass die Gemeinde Gottes Instrument ist, „seine Gnade in der Welt bekannt zu machen, zu verdeutlichen und beispielhaft vorzuleben“ (S. 209). Wie das ganz praktisch im Gemeindealltag aussehen könnte, würde Andy Stanley sicher anders beantworten als ich, weil er der Willow-Creek-Bewegung nahe steht, der ich persönlich sehr kritisch gegenüber stehe. Und hiermit komme ich zu dem wohl einzigen Wehrmutstropfen bei diesem Buch. Denn inhaltlich kann ich fast allem in diesem Buch zustimmen. In der Ekklesiologie und womöglich auch in anderen Bereichen - die allerdings nicht Thema dieses Buches sind – wird es wahrscheinlich wenige Überschneidungen geben. Aber vielleicht es auch eine Fügung und Gnade Gottes, dass ich von einem Pastor einer Megachurch lernen konnte, über die vielen Geschichten der Gnade Gottes in der Bibel zu staunen.

Andy Stanley ist ein exzellenter Autor. Eine tiefgründige theologische Abhandlung darf der Leser in diesem Buch zwar nicht erwarten. Dafür ist es aber eine leicht zu lesende Lektüre, die anhand der Geschichten aus der Bibel den Leser in die Tiefen der Gnade Gottes führt. Und da die Bibel größtenteils aus Geschichten besteht, ist es durchaus legitim, einen zentralen biblischen Begriff mittels Geschichten zu erläutern. Das war das Ziel des Autors. Das ist ihm gelungen. Und deswegen kann ich das Buch weiterempfehlen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: NIMM UND LIES
 Kategorie: Biblische Lehre

  Verlag: SCM R. Brockhaus
  Jahr: 2011
  ISBN: 978-3417264425
  Seiten: 224
 €    Preis: 9,95 Euro