Biblische Seelsorge
Autor: John F. MacArthur
Das Seelsorgebuch hat eine starke apologetische Seite und richtet sich insbesondere gegen die Psychologisierung der Seelsorge, die auf breiter Front auch in der evangelikalen Bewegung angekommen ist. Es ist allerdings in seinem dritten Teil eine deutlich praktische Anleitung zu seelsorgerlichem Handeln. Das beste an der Kritik der psychologischen Seelsorge ist sicher die Ermutigung dazu, nicht jeden Hilfesuchenden gleich in psychotherapeutische Praxen zu schicken, sondern mit echtem biblischen Ratgeben und tröstendem Begleiten Menschen in ihren Nöten und Ausweglosigkeiten beizustehen. Hier ist viel an ganz normaler Alltagsseelsorge verlorengegangen. Vieles wurde professionalisiert, dann methodisiert und mit einem psychologischem Überbau versehen, der weitestgehend eine humanistische Philosophie widerspiegelt. Leider haben viele christliche Seelsorger gemeint, ihre Seelsorge würde dadurch besser. Tatsache aber ist, dass sie sich die psychotherapeutischen Theorien und Methoden oft als Halbwissen angeeignet haben und diese dann munter mit biblischen Inhalten vermischen. Insofern ist die Kritik des Buches angemessen, wo zum Beispiel der grundlegende Unterschied zwischen Verhaltensänderung und Heiligung auf diese Weise vermengt wurde. Die Kritik ist aus deutscher Sicht an einzelnen Stellen allerdings irreführend. Das ist nicht allein John MacArthur und seinen Co-Autoren geschuldet. Vielmehr macht sich die Tatsache bemerkbar, dass die Situation in Amerika stellenweise anders ist als in Deutschland. Wenn etwa die Psychiatrie als unwissenschaftlich abqualifiziert wird, dann ist das für die deutsche Situation unzutreffend. Der psychiatrist in Amerika kann unter Umständen allein mit einer Ausbildung in psychotherapeutischen Methoden praktizieren und wäre hier eventuell nur Heilpraktiker. Der Psychiater in Deutschland ist immer ein Arzt, der rund 10 Jahre lang wissenschaftlich und praktisch ausgebildet wurde. In deutschen Psychiatrien wird außerdem vor allem medikamentös behandelt. Für eine mögliche und notwendige Kritik muss man die Situation genau kennen und mindestens zwischen Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse oder Psychosomatik unterscheiden können. Dass die Situation in Amerika verwirrend anders ist, bemerkt auch der Übersetzer beim Wort counselor,das „Seelsorger” und „Psychotherapeut” bedeuten kann. Es reicht nicht aus, zu bemängeln, dass man etwa über Schizophrenie (oder was man bisher unter diesem Namen als Krankheitsbilder zusammenfasste) wenig weiß. Über die Entstehung von Krebs weiß man ebenso wenig, trotzdem werden auch die meisten Christen Chemotherapien, Bestrahlungen und Operationen von Onkologen nicht ablehnen, auch wenn die Lehrmeinungen und Behandlungsmethoden bei Krebs weitgehend auf Erfahrungswissen beruhen und sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach stark gewandelt haben. Wie bei der Krebsbehandlung gab und gibt es aber auch in der Behandlung von psychischen Erkrankungen genauso einfache Irrtümer wie schlimme Scharlatanerie. Es gibt ein Zuviel und ein Zuwenig. Hier wie da müssen Christen unterscheiden können. Echte biblische Seelsorge ist aber niemals überflüssig und durch keinen Arzt oder Therapeuten zu ersetzen, auch wenn sie selbst nicht grundsätzlich den Arzt ersetzen kann. Dass das der Praxis der Autoren entspricht, wird durchaus an vielen Stellen des Buches deutlich, z.B.: „Ich liege nicht mit denen im Streit, die entweder gesunden Menschenverstand oder Sozialwissenschaften als eine Beobachtungsplattform benutzen, um menschliches Verhalten zu betrachten und Mittel zu entwickeln, die den Menschen dabei helfen, ein gewisse äußerliche Kontrolle über ihr Verhalten zu gewinnen. Das kann als ein erster Schritt hilfreich sein, um wahre, d.h. geistliche Heilung zu finden. Aber ein weiser Seelsorger weiß auch, dass alle Verhaltenstherapie nur oberflächlich hilft und bei weitem keine echte Lösung dafür ist, was die Seele wirklich braucht; dies ist allein in Christus zu finden” (40). Dem kann man nur zustimmen. Auch sind einige Fragen in einem Anamnesefragebogen im Anhang des Buches nur verständlich, wenn man über medizinisches Wissen verfügt. Umso bedauerlicher, dass andere Aussagen so klingen, als müsse man alles, was mit „psych” anfängt, rund heraus ablehnen. Ich halte es auch für stark irreführend, wenn am Ende des Buches ohne eine Definition, was man überhaupt unter einer Krankheit verstehen will, die Existenz von psychischen Erkrankungen rundweg mit dem Argument geleugnet wird, sie seien als Krankheiten nicht zu beweisen, sondern seien nur ein bestimmtes Verhalten oder Denken, das man mit der Bibel verändern sollte. Und da auch Heilung weder definiert sei noch garantiert, brauche man diese gar nicht, sondern „Sieg” (388-391). Mit diesem Argument könnte ich auch einen Schnupfen nicht mehr als Krankheit bezeichnen, sondern als Reaktion des Immunsystems auf Viren. Mit dem wahren Argument, dass die biblische Errettung viel wichtiger als Heilung ist, könnte ich jede medizinische Behandlung unterlassen. Damit ist leider wenig geholfen. Umgekehrt könnte gerade durch Alles-oder-nichts-Lösungen verstellt werden, wie wichtig ein durch die Bibel bestimmtes Denken und Handeln ist und wie positiv sich das auch auf die meisten Krankheiten auswirkt. Seelsorge heilt keinen Magenkrebs, aber der an Magenkrebs Erkrankte braucht neben medizinischer Begleitung auch Seelsorge, weil Körper und Geist in jeder Hinsicht miteinander verbunden sind und einander beeinflussen. Und bei psychischen Erkrankungen ist die Seelsorge noch viel wichtiger. Anders als im Predigtbuch in gleicher Aufmachung kommt es nach einer Entfaltung theologischer Grundlagen für die Seelsorge auch zu vielen praktischen Kapiteln, die viel Material für das Erlernen einer gesunden Seelsorgepraxis bieten. Diese positiven, hilf- und lehrreichen Kapitel des Seelsorgebuchs sind wertvoll. Sie beruhen weitgehend auf der Theorie und Praxis der so genannten nouthetischen Seelsorge, die Jay Adams vor rund 40 Jahren entwickelt hat. Der Autor aller praktischen Kapitel 8-14, Wayne A. Mack, ist von Jay Adams ausgebildet und arbeitet an seinem Seelsorgeinstitut. Das bedeutet einerseits, dass man einen guten Einblick in Adams Seelsorgelehre und ihre Weiterentwicklung bekommt, andererseits spürt man auch den Anhänger einer bestimmten Schule, für den die biblische Seelsorge bei Adams die Spitze erreicht zu haben scheint. Dabei gibt es an Adams Ansatz eine Reihe von Anfragen und bei ihm besteht eben auch die Gefahr, Heiligung und Verhaltensänderung miteinander zu verwechseln. Viele praktische Elemente seines Systems haben sich aber als sehr hilfreich erwiesen und so lohnt es sich, sie aus diesem Buch zu erlernen. Ob allerdings kein Seelsorgedienst in einer Gemeinde begonnen werden darf, bevor nicht alle Leiter zu 100% von der nouthetischen Seelsorge überzeugt sind (349), darf wohl hinterfragt werden. Leider löst auch das Kapitel über Seelsorge und Gemeinde nicht das Problem, dass das Buch getragen ist von der Vorstellung, dass Seelsorge in der Regel eine professionelle Aufgabe eines Pastors oder ausgebildeten Seelsorgers ist. Gerade die Professionalisierung einer ganz normalen Funktion des christlichen Umgangs miteinander ist aber ein Missverständnis. Was nicht heißen soll, dass jeder Christ bei jedem Problem weiterhelfen kann und dass es nicht auch professionelle Seelsorger geben darf. Die Buchtitel, die als Hilfen für den Seelsorger angegeben werden, sind größtenteils auf Englisch. Dabei hätten wenigstens die älteren Bücher von Adams mit ihren deutschen Titeln angegeben werden können und auch sonst hätte sich noch andere hilfreiche deutschsprachige Literatur ergänzen lassen. Fazit: Das Seelsorgebuch enthält viel Licht und manchen Schatten. Es ist als Sammelband leider nicht konsequent und das kann hier leicht zu Verwirrung führen. Ich habe selbst auch Anfragen an den modernen Krankheitsbegriff, sehe aber ein kleineres Problem darin, kritisch mit ihm umzugehen, als Seelsorger auszubilden, die pauschal bestreiten, dass es überhaupt psychische Krankheiten gibt.
Die Rezension/Kritik stammt von: Karl-Heinz Vanheiden
Kategorie: Seelsorge, Hoffnung, Lebenshilfe
Jahr: 2011
ISBN: 978-3-93555898-3
Seiten: 446
€ Preis: 24,90 Euro