Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit
Autor: Christine Christ-von Wedel, Sven Grosse
Der vorliegende Aufsatzband gehört zu den Schätzen des Reformationsjubiläums, die es wert sind, die Feiern zu überdauern. Er versammelt Darlegungen in Hinsicht auf die Bibelhaltung, die die wesentliche Grundlage für die reformatorische Wiederentdeckung des Evangeliums darstellt. Durchweg konservative Autoren bieten hier nicht die windige These an, dass Luthers Bibelauslegung der Beginn der historisch-kritischen Auslegung gewesen sei, wie man es oft hören konnte. Vielmehr zeigen sie konsequent auf, was Luther und die anderen Reformatoren von der mittelalterlichen Bibelauslegung unterscheidet. Sven Grosse und Ulrike Treusch widmen sich diesen Unterschieden zu Anfang. Fünfzehn weitere Autoren entfalten meist an konkreten Beispielen die Besonderheiten der Auslegung bei den Reformatoren. Erfreulich ist, dass sie dabei schwierigen Fragen nicht ausweichen. Jason D. Lane sieht in Luthers Kritik am Jakobusbrief einen Schlüssel zu seiner Hermeneutik. Erstens hat Luther den Brief nicht selten zitiert. Und zweitens zeigt gerade seine Kritik, dass es ihm um ein christologisches Verständnis der Bibel ging. Luther unterstellte dem Jakobusbrief keine Irrtümer, sondern sah die Gefahr, ihn so falsch zu verstehen, dass er von der Rechtfertigung durch Christus zur Selbstheiligung ablenken könnte. Ein Schatz ist sicher auch der Aufsatz des 2013 verstorbenen Armin Buchholz, der aus seinem Nachlass stammt. Buchholz zeigt auf, dass Gott der Schöpfer der Schrift ist, die Heilige Schrift insofern sein Geschöpf. Sie ist aber – anders als Erasmus von Rotterdam meinte – nicht eine zusammengesetzt göttliche und menschliche Schöpfung. Erasmus habe im Gefolge von Origenes eine Vergöttlichung des Menschen als notwendig angesehen, damit erstens die Autoren Gottes Wort aufschreiben konnten und zweitens der lesende Mensch später von der geistlichen Kraft der Schrift erneuert werden konnte. Das sprachliche Kommunikationsgeschehen rückt dabei in platonischer Weise in den Hintergrund. In zwei Aufsätzen wird auf das wichtige Werk des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger hingewiesen. Bullinger war ein konsequenter Ausleger des philologischen Sinns der Bibeltexte. Zugleich war er ein aufmerksamer Beobachter seiner Umgebung und legte die Texte seelsorgerlich in die persönliche und kirchliche Situation hinein aus. Auch Martin Bucers Auslegung kommt zu Wort, was sonst selten der Fall ist. Es ist nicht möglich, hier auf jeden Aufsatz einzugehen. Wenn auch nicht alle gleich wertvoll sein mögen, so ist der Gesamtertrag des Werkes jedoch so, dass die Anschaffung auch als gedrucktes Exemplar lohnt. Der Verlag bietet den Text aber auch als freie PDF-Version im Internet an.
Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
Kategorie: Kommentare, Auslegung, Lexika