Einer Blume will ich mich vergleichen    

1) Einer Blume will ich mich vergleichen,
einer Blume tief im Tal versteckt.
Unter Gras und dicken Waldgesträuchen
hat mich suchend seine Lieb' entdeckt.
Und in seiner Augen Himmelsscheine
und gepflegt von seinem treuen Sinn,
blüht' ich auf. drum dank ich ihm alleine,
alles, alles, was ich hab' und bin.

2) Ohne ihn – wie konnt' ich je erblühen!
Mich beschien kein milder Strahl des Licht's –
und ich wusste von der Sonne Glühen,
von dem Tau des Himmels wusst' ich nichts.
Doch es schlummerte in mir verborgen
ein Gefühl, dass ich in fremdem Land.
Leise ahnt' ich einen Frühlings morgen
in der Heimat, die ich nie gekannt.

3) Als Er nahte, da ich Ihn gesehen –
brach er an, mein Auferstehungstag.
Mich durchschauerte ein süßes Wehen
und ein neues Leben wurde wach,
träumend sah ich aus den Hüllen steigen
einen schlanken, blütenreichen Schaft.
Eigne Schwachheit wollt' ihn erdwärts neigen,
aber mächtig hob ihn fremde Kraft.

4) Was im Geiste damals ich erschauet,
als sein Finger mich zuerst berührt,
hat mein Freund nun still in mir erbauet
und es in der Zeit hinausgeführt.
O, wie pflegt' er mich mit Liebesblicken,
da das neue Leben leise spross
und die Dornen drohten zu ersticken
jeden Keim, der langsam sich erschloss.

5) Treulich wahrt' er mich vor rauem Winde,
hat zur Mittagszeit mich mild erfrischt,
hat den Mehltau und den Schmutz der Sünde
sorglich von den Blättern mir gewischt,
hat mit Tau von Oben mich befeuchtet,
schirmte mich vor jeglicher Gefahr.
Hat mit Huld und Gnade mir geleuchtet,
wenn es trüb' und finster um mich war.

6) Eins, nur eines hab' ich noch zu leiden.
Denn mein Gärtner ließ im Tal mich stehn,
ließ mich, wo des Königs Rinder weiden
und die Füße seiner Herden gehn.
O, wie könnte mir so bange werden,
blick' ich auf die dräuende Gefahr,
dass die rauen Füße dieser Herden
mich zerknicken und zertreten gar!

7) Doch auf ihn nur soll mein Auge schauen,
nimmer um sich, auf der Feinde Wut.
Meinem Freunde will ich ganz vertrauen,
meines Gärtners ewig treuer Hut,
einer Blume will ich mich vergleichen,
aber alles, Glanz und Duft und Schein,
was ich bin und hab' und werd' erreichen
alles, alles, dank' ich ihm allein!

Text:
Melodie: Unbekannt
Bibelstelle: Hohelied 2,1