Buch-Rezension: Biografie: Johann Albrecht Bengel - Ein Leben für Bibel und Wahrheit

Biografie: Johann Albrecht Bengel

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Auf 176 Seiten entfaltet der pensionierte württembergische Pfarrer Lothar Bertsch ein flüssig lesbares Lebensbild des bedeutenden Pietisten Johann Albrecht Bengel. Wie der Autor schon in seinem Vorwort erwähnt, handelt es sich bei seinem Buch nicht um eine wissenschaftliche sondern um eine überwiegend erbaulich ausgerichtete Arbeit (9f). So geht er weder auf neuere Ergebnisse der Erforschung des Lebens Bengels ein noch erwähnt er die unterschiedlichen Interpretationen und Wertungen der Theologie Bengels. Stattdessen wird die Geschichte eines geistlichen Helden erzählt, dessen Theologie und Leben den heutigen Leser zum ernsthaften christlichen Leben motivieren soll. Angenehm aufgelockert wird der Text durch Kartenskizzen, Reproduktionen von Briefen, Gemälden und Stichen aus der Umwelt Bengels.

Bertsch unterteilt sein Buch in 11 Kapitel, wo bei jeweils biographisch gehaltene Abschnitte mit theologischen Aussagen Bengels abwechseln. Nach einer knappen Skizze des zeitgeschichtlichen Umfelds Bengels (11-16), wendet sich Bertsch dessen Schul- und Studienzeit zu (17-27). In einem weiteren Kapitel legt der Autor die Bedeutung der Bibel für die Theologie Bengels dar (28-34). Dann beschreibt Bertsch Bengels Tätigkeit als Klosterpräzeptor in Denkendorf, der sich als Erzieher, Seelsorger und Liederdichter seiner Schützlinge annimmt (35-75). Das fünfte Kapitel be schäftigt sich mit Bengels Arbeit als Textforscher und Exeget (76-93). Seine Zeit als Prälat in Herbrechtingen erläutert Bertsch in einem weiteren Abschnitt (94-118). In diesem Teil des Buches findet auch Bengels Tätigkeit als apokalyptischer Erbauungsschriftsteller Erwähnung. Mit der Darlegung seiner Arbeit in Kirchenleitung und Politik verbindet der Autor die Beschreibung von Bengels Zeit als Prälat in Alpirsbach (119-125). Im achten Kapitel wendet sich Bertsch dem Schaffen Bengels während seiner letzten Lebensjahre zu (126-130). Dem schließt sich ein Überblick über die Wirkungsgeschichte Bengels in Theologie und Biographie seiner Schüler an (131-144). Dabei werden zum höheren Lobe Bengels allerdings auch Personen ein bezogen, die nur am Rande von Bengel geprägt wurden. Katechismusähnlich, in einem Frage-Antwort-Schema, stellt Bertsch so dann Grundzüge Bengelscher Theologie dar (145-166). Mit einer ehrenvollen Würdigung der Arbeit Bengels (167-169), einem tabellarischen Lebenslauf (170-171) und einer einfachen Kartenskizze der Wirkungsorte Bengels (172) schließt Bertsch sein Buch ab. Das Literaturverzeichnis (173-175) erwähnt verschiedene, gut zugängliche Ausgaben der Schriften Bengels, einige Biographien zum Leben Bengels, insbesondere aus den 80-er Jahren und eine Auswahl neue rer Sammelwerke zur Geschichte des Pietismus, einschließlich einiger Biografien "schwäbischer Kirchenväter".

Bertsch zeigt Bengel als einen frommen, eigenwilligen (98), intelligenten und bescheidenen aber auch distanzierten Menschen (19, 42f). Wie von Bertsch angekündigt bewegte sich das äußere Leben Bengels eher in ruhigen Bahnen, weshalb der Leser zu weilen vergeblich auf ein farbigeres Bild des Schwaben wartet. Hilfreich für das Verständnis Bengels ist die Erwähnung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds jener Zeit, wobei die meisten Angaben eher vage bleiben. So bleiben die Beschwerden über die erschwerenden Verhältnisse weitgehend in einem luftleeren Raum. Aussagen, die die Verwurzelung des Pietismus in Schwaben auf die schwere politische Lage des Landes zurückführt (13), werden weder erläutert noch kritisch beleuchtet. Auch die "unbeschwerten Kinderjahre" Bengels oder die Krankheit, an der sein Vater verstarb, bleiben recht unkonkret (18).

Sehr einfühlsam versteht es Bertsch den Leser in die Frömmigkeit jener Anfangszeit des württembergischen Pietismus hineinzunehmen (17f). Auch gelingt es ihm gut, theologische Überzeugungen und akademische Lehrer zu skizzieren, die den jungen Bengel prägten (22f). Interessant ist auch die heilsgeschichtliche Konzeption der Biographie. Jede Einzelheit aus Kindheit und Jugend Bengels entfaltet Bertsch im Laufe seiner Darstellung als wichtige Vorbereitung Gottes für die späteren Leistungen des großen Pietisten. Dazu gehört seine Strebsamkeit (20), seine Kritik der Philosophie (23), sein unumstößliches Vertrauen auf die Bibel (27ff, 29) und sein Interesse an der biblischen Textforschung (24). Schon in seiner Prüfungspredigt findet Bertsch die Grundlagen der späteren Theologie Bengels (56). Erstaunlicherweise beschreibt Bertsch Bengel während seiner Studienreise nach Frankfurt und Halle kaum als Lernenden, sondern eher als Beobachter und jemanden, der die Arbeit Franckes und Speners beurteilt (24f). Schon in seiner Studien- und Vikariatszeit erscheint Bengel so als fertiger, gereifter Theologe (26f). Überhaupt tritt er immer wieder als Einzelgänger hervor, den wenig wirklich berührt und der wenig ernsthaft am Ergehen anderer teilzunehmen scheint (19f, 38f).

Trotz allem Leiden in Krankheit, Armut und politischem Druck erscheinen die dargestellten Pietisten vorbildlich beständig und manchmal unnatürlich fromm. Wie durch Leibnitz’ "beste aller Welten" geprägt lobt Bengel Gott, ganz gleich ob gerade seine Eltern, seine Geschwister oder die eigenen Kinder sterben (18, 23, 41ff, 48, 67). Menschliche Regungen werden neben der geistlichen Stärke Bengels von Bertsch kaum nach gezeichnet.

Die Beschreibung des Alltaglebens in Denkendorf bleibt, abgesehen von Angaben über Studienordnung und Tagesablauf, verhältnismäßig farblos (35ff). Ohne jede theologische Reflektion lässt Bertsch Überlegungen zur Rettung aller Kinder (42) oder zur erlösenden Kraft der kirchlichen Taufe (44) einfließen. Auch wenn die offensichtliche Beeinflussung Bengels durch die Pädagogik Franckes im Buch nicht erwähnt wird, gibt Bertsch eine gut verständliche Einführung in die Prinzipien Bengelscher Erziehungsarbeit (46ff). Dabei wird zurecht auf die besondere Bedeutung von Wissen und Frömmigkeit, von persönlichem Vorbild und Beachtung der Individualität der Schüler hingewiesen. Wobei gerade ein Vergleich mit damaliger pädagogischer Praxis die Besonderheiten der Praxis Bengels deutlicher hervorgehoben hätte.

Recht detailliert geht Bertsch auf Bengels Predigtleidenschaft ein und skizziert dessen homiletische Grundlagen (51ff). Immer wieder finden sich in der Biographie Hinweise auf Bengels enge Bindung an die Bibel (89). Bengels Überlegungen zu Inspiration, Kanon im Kanon oder der Knechtsgestalt der Schrift erscheinen sehr aktuell und wurden von Bertsch in den Überlegungen Bengels besonders hervorgehoben (30ff). Auch die Ablehnung des "Bekehrungseifers" wird dem heutigen Leser als pädagogische Warnung vor Augen gestellt (54).

Erbaulich und herausfordernd ist die vielfältig dargestellte Verbindung zwischen persönlicher Frömmigkeit, insbesondere dem Gebet, und der wissenschaftlichen Arbeit Bengels (59ff). Trotz zahlreicher anschaulicher Beispiele kann Bertsch dem Leser die große seelsorgerliche Wirkung Bengels nur unzureichend nahe bringen (66ff). Dabei kann kaum beurteilt werden ob das an der fremden Frömmigkeit Bengels oder an der Darstellung des Buches liegt.

In seiner Darstellung der Hermeneutik Bengels versteht es Bertsch, eine Brücke zu gegenwärtigen, pietistisch-evangelikalen Ansätzen zu schlagen (76ff). Dazu gehören Warnungen vor der Voreingenommenheit des Bibellesers, der Einheit der Schrift und die notwendige kritische Erarbeitung des Grundtextes. Auch die durch Bengel formulierten, bekannten Regeln der Textkritik werden bei Bertsch genannt. Anschaulich vermittelt er dabei einen Eindruck von dem organisatorischen Aufwand Bengels durch die in verschiedenen europäischen Bibliotheken lagernden Handschriften biblischer Texte (81ff).

Wiederholt wird dem Leser die über das damalige Maß hinausgehende Demut Bengels vor Augen geführt, die sich darin äußerte, dass er sich weder auf Ämter bewarb noch Ehrungen seiner Arbeit annahm (86, 122f).

Den ausführlichen eschatologischen Vorstellungen Bengels gilt ein besonderes Interesse des Autors, wie sich anderen ausgedehnter Darstellung ablesen lässt (101-118).

Irreführend ist die Einfügung der Lebensdaten einiger Pietisten in den sonst nur Angaben aus dem Leben Bengels enthaltenden tabellarischen Lebenslauf, so kann der Eindruck erweckt werden, diese Personen seien sich schon in der Stuttgarter Schulzeit Bengels begegnet (170).

Leider fehlt eine kritische Würdigung Bengels weitgehend. Weder setzt sich Bertsch mit der Gefühlskälte Bengels, noch mit seinem eingeschränkten politischen Engagement (94ff, 122) oder seinen Endzeitspekulationen (101-118) kritisch auseinander. Selbst bei den offensichtlichen Schwächen Bengels scheut Bertsch davor zurück seinen geistlichen Helden zu kritisieren. So weist er im Zusammenhang mit Bengels Endzeitspekulationen beispielsweise entschuldigend auf dessen gute Motive oder irrtümliche Berechnungen an derer Pietisten (100) hin und bezeichnet sie als "überbiblisch", wobei "unbiblisch" wohl angemessener zu sein scheint (107). Auch die rückblickenden, manchmal idealisierenden Äußerungen des gealterten Bengel werden bei Bertsch ohne Kommentar als historisch zutreffend zitiert (18f).

Bertschs Biographie über Bengel bietet dem interessierten Gemeindeglied einen leicht lesbaren unterhaltsamen Einblick in das Leben und die theologische Arbeit des bekannten Pietisten. Besonders auf ihre Kosten werden dabei Christen der württembergischen Kirche und Liebhaber pietistischer Aphorismen sein. Obwohl es sich um keine wissenschaftliche Arbeit handelt, können sich hier auch kirchliche Mitarbeiter einen einfühlsamen Überblick über das Leben Bengels verschaffen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Michael Kotsch
 Kategorie: Biografien, Lebensbilder

  Verlag: SCM Hänssler
  Jahr: 2002
  ISBN: 3-7751-3897-8
  Seiten: 180
 €    Preis: 6,95 Euro