Biblische Archäologie am Scheideweg?
Autor: Peter Van der Veen & Uwe Zerbst
Das Aufkommen der sog. „biblischen Archäologie“ war anfänglich mit einer geradezu euphorischen Phase verbunden: Die Ausgräber stießen sowohl in Ägypten wie im Zweistromland auf beeindruckende terielle Spuren jener vergangenen Kulturen, die zum Teil mit der Bibel in Verbindung standen. Welch eine Aufregung, als Leonhard Woolley bei seinen Grabungen auf deutliche Anzeichen einer gewaltigen Flutkatastrophe stieß: („Ur und die Sintflut“). „Wir haben die Sintflut gefunden!“, so telegraphierte er aufgeregt nach London. Georg Smith entzifferte das berühmte „Gilgamesch-Epos“ mit einer außerbiblischen Parallele zur Sintflutgeschichte. Dieser frühen Phase der biblischen Archäologie mit den beeindruckenden Leistungen haben wir viel zu verdanken. Besonders das Daniel-Buch – das noch heute von der historischen Kritik wohl am heftigsten angefochtene Buch der Bibel – erhielt durch die archäologische Forschung plötzlich eine unerwartete Bestätigung: Man fand Keilschrifttexte, die die Historizität des in Dan. 5 erwähnten Belsazar belegten, während die kritische Forschung es bis 1850 für sicher hielt, dass Belsazar lediglich als eine „mythische Gestalt“ anzusehen sei. Leider hielt diese euphorische Phase der biblischen Archäologie nicht an. Zwar gab es bis kurz nach dem 2. Welt krieg noch immer optimistisch stimmende Resultate. Doch es offenbarten sich bald auch Probleme, die zu Zweifel und Skepsis Anlass gaben: Relativ harmlos war noch die unterschiedliche Datierung des Auszuges der Israeliten aus Ägypten. Da gab es einerseits die sog. „Frühdatierung“, die mit einem Exodus im 15. Jh. rechnete, im Gegensatz zur „Spätdatierung“, die sich für einen Auszug im 13. Jh. entschied. Für jene sprach die biblische Zahlenangabe in 1. Kö 6,1ff., für diese der historisch-archäologische Befund – in Variationen vertreten von Autoritäten wie William Foxwell Albright, Georg Mendenhall und auch dem angesehen Liverpooler Ägyptologen Kenneth Anderson Kitchen. Mit dem Fortgang der archäologischen Erschließung vermehrten sich aber die Probleme. Es zeigte sich, dass der Spaten der Archäologen auch Befunde hervorbrachte, die geeignet waren, die bibelgläubige Öffentlichkeit zu irritieren. Ausgräber, die beispielsweise nach dem verblichenen Glanz der salomonischen Zeit suchten, stießen lediglich auf dürftige Reste einer ärmlichen Bevölkerung, die man schwerlich mit der in der Bibel geschilderten „Herrlichkeitszeit“ (vgl. 1. Kö 4,20ff.) in Übereinstimmung bringen konnte. Die historische Kritik – genauer: die von ihr gespeiste Journalistik – nutzte diesen Kenntnisstand und sprach mit offenbarer Häme von der „Abrissbirne“, mit der es nun gegen die alttestamentlichen Darstellungen ginge. So zuletzt in einem gotteslästerlichen Artikel in dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (52/2002). Hier nun liegt die große Bedeutung des vorliegenden Buches. In erster Linie geht es darin um saubere wissenschaftliche Arbeit, vor allem in den Fragen der Chronologie. Die Autoren – an Vorschläge aus der älteren Forschungsgeschichte anknüpfend – sprechen sich mit starken wissenschaftlichen Argumenten dafür aus, dass das chronologische Gerüst Ägyptens – und davon sind alle Zahlen in Palästina abhängig! – einer Revision bedarf. Besonders der Ägyptologe David Rohl – bekannt durch sein Buch: „Pharaonen und Propheten“ (Dromer, Knaur, 1996) tritt für einen zeitlichen Versatz von mehr als 300 Jahren ein. Rohl ist übrigens Mitautor in dem vorliegenden Buch von van der Veen und Zerbst. Hochinteressant zu welchen Ergebnissen diese revidierte Chronologie nun führt. Als Beispiel sei Jericho genannt. Der Bibelleser weiß, dass die Mauern der Stadt einstürzten (Jos. 6,20). Die berechtigte Frage lautet: Welche Ergebnisse erbrachte die bisherige archäologische Arbeit in Jericho? Schon um 1907 nahm der deutsche Forscher Ernst Sellin (1867- 1946) Grabungen auf dem Telles-Sultan, dem mutmaßlichen Ort des alten Jericho, auf. Sellin gilt als ein Pionier der deutschen Archäologenarbeit in Palästina und grub auch in Thaanach und Sichem. Später dann, in den dreißiger Jahren ist es der Name des Briten John Garstang. Die Albright-Schülerin Kathleen Kenyon gelangte bei ihren Grabungen (1952-1956) zu Befunden, die in keiner Weise dem von der Bibel her zu erwartenden Bild entsprachen. Nach ihren Befunden ging Jericho durch mehrere Phasen wiederholter Zerstörung und Neuaufbau (vgl. da zu auch Jos. 6,26; 1. Kön. 16,34) Während der Hyksoszeit blühte die Stadt erneut auf, fand aber dann um 1560 ein gewaltsames Ende. Von der Stadt, die man aus der Josuazeit zu erwarten hätte, fand man so gut wie nichts. Untersucht man die gleiche Stelle unter dem Gesichtspunkt der revidierten Chronologie, dann führt dies allerdings zu einem sehr interessanten Ergebnis: Die Stadt wurde offenbar zerstört durch eine gewaltige Feuersbrunst in Verbindung mit einem Erdbeben. Man fand mit Getreide gefüllte Vorratskrüge – Hinweis auf eine Zerstörung der Stadt während der Erntezeit – durch aus in Übereinstimmung mit Jos. 6, 24: „Die Stadt aber und alles was darin war, verbrannten sie mit Feuer.“ Auch an an deren Stellen führt die revidierte Chronologie zu erstaunlichen Schlussfolgerungen: Zum Beispiel der berühmte Tontafelfund von Tell El-Amarna, wohl die diplomatische Korrespondenz des Pharaos Amenophis IV. Echnaton mit den kanaanäischen Städtekönigen. Darin wird der Pharao um Hilfe gerufen, er möge Soldaten senden, sonst gingen seine Städte an die „Habiru“ verloren. Habiru? Schon frühere Forscher sahen darin das Volk Israel. So sprach sich etwa der Leipziger Alttestamentler Hans Bardke (in engem Anschluss an den Göttinger Orientalisten Burger) für die Hebräer/Habiru-Indentität aus. Jetzt, unter den Möglichkeiten des neuen chronologischen Ansatzes, werden die Gründe dafür noch stärker. Warten wir ab, was die weitere Forschung noch er bringen wird! „Biblische Archäologie am Scheideweg“ ist ein wissenschaftliches Buch. Es dringt sehr tief in Geschichtszusammenhänge mit starkem Bezug zu Bibel vor. Ein Leser, der das nötige Maß an Zeit, Kraft und Interesse zur Sache aufbringt, wird durch den gebotenen Faktenreichtum voll entschädigt. Wohltuend die Sachlichkeit, mit der die Autoren auch unbequeme Thesen ernst nehmen und referieren. Unsere Zeit heute braucht – auch bei ganz an deren Themenkreisen! – solch weiterführende Forschung.
Die Rezension/Kritik stammt von: Manfred Schäller
Kategorie: Evolution, Archäologie, Schöpfung